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Bei einer Mahnwache der Türkischen Gemeinde in Berlin wird an die Opfer der rechtsextremen Terrorgruppe erinnert.

© dpa

Gastkommentar: Aus Opfern wurden türkische Kriminelle

Der Werdegang der Ermittlungen zu den Neonazi-Morden ist eine Schande. Die Hinterbliebenen wurden jahrelang mit übler Nachrede konfrontiert. Jetzt kommt Wut auf - und auch eine gewisse Genugtuung.

Keine zwei Wochen sind seit den Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei vergangen. Parteiübergreifend liefen ranghohe Minister des Bundes und der Länder - die Bundeskanzlerin inklusive - von einem Festakt zum nächsten, um der türkeistämmigen Bevölkerung ihren Dank für die erbrachten Leistungen auszusprechen. Sie gehörten mittlerweile zu Deutschland dazu, so der Tenor. Ein feuchter Händedruck, das war‘s. Bis jetzt. Die Aufdeckung der rechtsterroristischen Taten der Neonazi-Zelle ist das Geschenk zum Fünfzigsten, der Werdegang der Ermittlungen hingegen eine Schande.

Was haben Medien und Sicherheitsbehörden den Opfern über die vielen Jahre nicht alles hinterher gedichtet? Glücksspielschulden, innertürkische Mafia-Abrechnungen, Schuldgelderpressungen seien hier exemplarisch aufgeführt. Aus Opfern wurden türkische Kriminelle- Etikett: Döner-Morde. Die Hinterbliebenen mussten nicht nur mit der Trauer über den Verlust des Papas, Ehemannes umgehen, sondern auch mit der üblen Nachrede.

Der Gedanke, dass fremdenfeindliche Motive eine Rolle spielen könnten, wurde kaum bis gar nicht thematisiert. Nur die türkischen Medien berichteten über mögliche rechtsextreme Hintergründe, blieben aber unbeachtet. Spätestens als die Ermittlungen auf die lange Bank geschoben wurden, blieb in der türkischen Community ein ungutes Gefühl. Ein Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt und vor allem stinkt.

Jetzt, wo Einzelheiten ans Tageslicht kommen, kommt Wut auf; und so zynisch es auch klingen mag, auch eine gewisse Genugtuung. Nicht weil man es ja schon immer gewusst hat, sondern weil es den Verantwortlichen nun an den Kragen geht. Damit sind alle gemeint, die mit ihrer Rhetorik die geistige Nahrung für rechtsextreme Täter liefern. Es sind aber vor allem jene gemeint, die weggeschaut, weggehört haben und solche, die möglicherweise sogar aktiv vertuscht und damit mitgewirkt haben – in den Sicherheitsbehörden.

Und das ist die Chance, wer weiß wie viele bisher unentdeckte Versäumnisse der vergangenen fünfzig Jahre zumindest ein Stück weit wieder gutzumachen. Spätestens jetzt ist eine lückenlose, aufrichtige Aufklärung mit personellen und strukturellen Konsequenzen gefragt. Das wäre nicht nur für den Zusammenhalt dieser Gesellschaft von elementarer Bedeutung, sondern auch das einzig überzeugend daherkommende Signal, dass Fremdenfeindlichkeit hier bei uns keinen Platz hat.

Es ist auch eine Chance für die hiesige Politik, die über Jahrzehnte verlorene Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen. Der türkische Premier Recep Tayyip Erdoğan sagte bei seinem letzten Deutschlandbesuch anlässlich der Festlichkeiten, dass er und die Türkei da sein werden, wo immer auch nur einem Türken die Nase blutet. Acht Türken wurden kaltblütig aus nächster Nähe erschossen und bisher haben die hiesigen Politiker – sofern sie sich überhaupt geäußert haben – nichts weiter zustande gebracht, als kühl und sachlich Aufklärung anzukündigen.

Sollte das nicht gelingen, brauchen sich die Verantwortlichen auf künftigen Feierlichkeiten nicht mehr blicken lassen. Das wäre nicht nur unglaubwürdig, sondern käme auch einer Häme gleich. Und das können wir uns ersparen – der nächsten fünfzig Jahre wegen. Ganz ehrlich.

Ekrem Şenol ist Chefredakteur von MiGAZIN.

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