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Bundeskanzlerin Angela Merkel

© dpa

Für eine Minderheitsregierung: Mach es alleine, Angie!

Für eine Koalition mit den Sozialdemokraten wird Angela Merkel einen hohen Preis zahlen müssen. Das liegt daran, dass sie die einzige machtpolitische Alternative nicht wahrnehmen will: eine Minderheitsregierung von CDU und CSU.

Die erste Woche nach der Bundestagswahl war spannender als der gesamte Wahlkampf. Auf einen dramatischen Wahlabend folgte ein überraschendes Ergebnis. Die FDP liegt führungslos im Abgrund. Auch ein paar grüne Köpfe rollten. Und weil nach der Niederlage alte Flügelkämpfe wieder aufgebrochen sind, scheinen die Grünen derzeit kaum koalitionsfähig. Die SPD wiederum hat nicht besonders viel Lust aufs Regieren, vor allem die Basis rebelliert gegen eine große Koalition. Und die Wahlsiegerin Angela Merkel merkt ganz allmählich, dass der Triumph vom Sonntag auch eine Niederlage gewesen sein könnte. Die CDU-Basis ist nervös, dies haben in der vergangenen Woche nicht zuletzt die Spekulationen über Steuererhöhungen und den möglichen Bruch von Wahlversprechen gezeigt. Schon jetzt wird die FDP bei den Christdemokraten schmerzlich vermisst.

Langsam spricht sich also herum: Der Wähler hat den Parteien für die Regierungsbildung ein ziemlich kompliziertes Rätsel aufgegeben. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass CDU und CSU am Ende ohne Koalitionspartner dastehen werden. Womöglich werden weder SPD noch Grüne bereit sein, zusammen mit Angela Merkel eine Regierung zu bilden.

Horst Seehofers Ehrenwort

Deutschland wird sich auf schwierige und langwierige Verhandlungen einstellen müssen. Auf der einen Seite tut Horst Seehofer derzeit alles dafür, den Verhandlungsspielraum von Angela Merkel einzuschränken. Der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident kann vor Kraft kaum noch laufen, seit er in Bayern für seine Partei die absolute Mehrheit zurückgewonnen hat. Bevor irgendwelche Sondierungsgespräche überhaupt begonnen haben, zieht er munter rote Linien. An Gesprächen mit den Grünen will Seehofer gar nicht erst teilnehmen, einen Koalitionsvertrag ohne Pkw-Maut für Ausländer nicht unterschreiben. Die Ablehnung jedweder Steuererhöhung verknüpft er sogar mit seinem „Ehrenwort“. Auch das Betreuungsgeld will der CSU-Chef selbstredend nicht wieder hergeben.

Andererseits wird es für CDU und CSU nicht einfach werden, sich mit der SPD über eine gemeinsame Regierungspolitik für die kommenden vier Jahre zu verständigen. Die Sozialdemokraten sind nach dem eher bescheidenen Abschneiden bei der Bundestagswahl verunsichert. Die Angst, als Juniorpartner einer großen Koalition noch einmal wie 2009 vom Wähler abgestraft zu werden, sitzt tief. Auch wenn die Begleitumstände einer Neuauflage der großen Koalition ganz andere wären als vor acht Jahren. Die SPD fordert und erwartet erhebliche Zugeständnisse von der Union.

Taktisch geschickt hat die SPD zudem ihre Mitgliederbefragung über die große Koalition ans Ende der Gespräche mit der Union gerückt. Es mag sein, dass die Sozialdemokraten so ihre widerspenstige Basis einbinden wollen, aber gleichzeitig ist das ein geschickter Schachzug, um in den Koalitionsverhandlungen immer wieder auf das erforderliche Votum der Basis zu verweisen. Angela Merkel wird also einen hohen Preis dafür zahlen müssen, die SPD an den Kabinettstisch zu locken.

Höhere Steuern? Trotz Seehofers Ehrenwort. Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn? Trotz der Widerstände im Wirtschaftsflügel der Union. Mehr Geld für Bildung, Kinderbetreuung und Straßenbau? Statt Haushaltskonsolidierung. Neue Milliardenhilfen für die kriselnden Eurostaaten? Doppelte Staatsbürgerschaft? Sechs Ministerposten? Billiger wird die angeschlagene SPD kaum zu haben sein.

Merkel ist erpressbar. Sie braucht einen Koalitionspartner aus dem linken Lager, sie braucht die SPD. Auf das politische Abenteuer Neuwahlen kann sich die Kanzlerin in Wirklichkeit nicht einlassen. Deren Ausgang wäre auch für CDU und CSU völlig unkalkulierbar. Niemand weiß, wie der Wähler reagiert, wenn die Regierungsbildung scheitert und er schon bald wieder an die Wahlurnen gerufen wird. Auch in der CDU kann niemand ausschließen, dass die Wähler der Union die Schuld dafür in die Schuhe schieben. Womöglich würde bei schnellen Neuwahlen dann gar die AfD in den Bundestag einziehen und die Union von rechts unter Druck setzen. Die FDP hingegen wird eher Jahre als Monate brauchen, um sich politisch, programmatisch und strategisch neu aufzustellen. Darüber hinaus kann sich weder Deutschland noch Europa weitere Monate des politischen Stillstands leisten.

Böse Erinnerungen an Weimar

Es drängt sich also die Frage auf, warum will Merkel eigentlich nicht alleine regieren? Warum zieht die Kanzlerin eine Minderheitsregierung nicht einmal in Betracht? Warum zeigt sie den Sozialdemokraten nicht den einzigen Trumpf, der ihr noch bleibt, wenn es darum geht, in Koalitionsverhandlungen unverschämte Forderungen der SPD abzuwehren?

Minderheitsregierungen haben in Deutschland einen schlechten Ruf, sie gelten als instabil und wecken böse Erinnerungen an die Weimarer Vergangenheit. Dabei zeigt ein Blick in andere europäische Länder, etwa nach Schweden und die Niederlande, dass Minderheitsregierungen kein Schreckgespenst sein müssen, auch nicht für Deutschland. Eine Minderheitsregierung passe zudem nicht zu Angela Merkel, heißt es, sie agiere im Kanzleramt aus dem Hintergrund und könne als Kanzlerin nicht führen.

Dabei könnte eine Minderheitsregierung durchaus eine Alternative zum Bündnis mit den Sozialdemokraten sein. CDU und CSU könnten mit wechselnden Mehrheiten regieren, mal mit der SPD und mal mit den Grünen. Dem Angebot zur Zusammenarbeit können sich beide Parteien gar nicht verweigern. Einerseits sind Sozialdemokraten und Grüne via Bundesrat eh mit im Spiel, anderseits müssen sie sich davor hüten, allzu nah an die Linke heranzurücken. Denn Rot-Rot-Grün will der Wähler nicht, je weiter beide Parteien nach links rücken, desto schlechter werden ihre Wahlchancen. Eine Minderheitsregierung ist eine Alternative für Deutschland und für die Union. Angela Merkel muss sich nur trauen.

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