zum Hauptinhalt
Umstritten: Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky und sein Buch.

© dapd

Gastkommentar: Wir brauchen mehr Buschkowskys

Die Kritiker am Buch des Neuköllner Bürgermeisters sollten sich lieber selbst sozial engagieren, anstatt eine scheinheilige Opferdebatte zu führen, meint unser Gastautor, der Sprecher eines Vereins für Integration und Menschenrechte ist.

Ich betrachte mich mittlerweile auch als Teil einer Minderheit. Natürlich keiner ethnischen oder kulturellen. Ich gehöre der Minderheit jener an, die sich in einer Debatte um ein Buch zu Wort melden und dieses Buch auch wirklich gelesen haben. Bei anderen habe ich da leider meine Zweifel. Ekin Deligöz wird mit den Worten zitiert, Buschkowksy biete keine Lösungen an. Dabei war zu diesem Zeitpunkt eine lange Liste von Lösungsvorschlägen, die "Neukölln ist überall" enthält, in diversen Zeitungen bereits thematisiert worden. Selbst ohne Lektüre des Buches hätte man also auf die Idee kommen können, dass dieser Vorwurf seinen Urheber nicht sonderlich informiert wirken lässt. Und die vielfache erhobene Behauptung, Buschkowksy hätte als Verantwortungsträger in Neukölln jene Probleme, über die er sich beschwert, längst selbst lösen können, verkennt die Gestaltungsmöglichkeiten und Zuständigkeitsbereiche, die ein Bezirksbürgermeister hat. Der Berliner SPD-Politiker Aziz Bozkurt geht noch einen Schritt weiter und zieht eine Linie von Breivik zu Buschkowsky. Damit kann man sich eigentlich nicht mehr inhaltlich auseinandersetzen, denn hierbei geht es nur noch um bloße Diffamierung.

Den meisten dieser Kritiker ist ohnehin eines gemein: Sie sind bislang nicht bemerkbar in Erscheinung getreten, wenn es um Engagement gegen "Ehrverbrechen", Zwangsheirat und häusliche Gewalt ging. Sie sind viel zu viel damit beschäftigt, Integrationspolitik als permanenten Opferdiskurs zu führen, der freilich nicht das Gegenteil des in rechtsradikalen Kreisen üblichen Täterdiskurses ist, sondern vielmehr seine spiegelbildliche Entsprechung. Buschkowsky vermeidet diese beiden Extreme, und das ist als sein Verdienst hervorzuheben.

Zweitbesuch Bestsellerautor - eine Bildergalerie:

Trotzdem herrscht bei den Kritikern eine völlig andere Wahrnehmung vor. Wie kann ein Bürgermeister nur so über seinen Bezirk schreiben? Diese Art der Kritik enthält alle Elemente einer klassischen Verräterdebatte: Ein Bezirksbürgermeister spricht bitteschön nur Gutes über "seine" Leute. Ebenso soll eine Soziologin oder eine Frauenrechtlerin, die Angehörige einer Minderheit ist, doch unter gar keinen Umständen ein schlechtes Wort über eben diese Minderheit verlieren. Tut sie es doch, so kann es passieren, dass ein Feuilletonist sie als "überangepasst" oder "radikalsäkularisiert" bezeichnet - was für einige Geister offenbar das Schlimmste ist, was eine Migrantin überhaupt sein könnte. Und auch jener Lehrer, der sich bei Bekanntwerden der Missbrauchsvorfälle an der Odenwaldschule konsequent auf die Seite der Opfer stellte, galt einigen seiner Kollegen als "Judas" und "Nestbeschmutzer".

All den genannten Fällen ist gemeinsam, dass der Ruf und das Ansehen einer Gemeinschaft von Menschen offenbar mehr zählt als das, was einzelne Angehörige dieser Gemeinschaft erleiden. Entsprechend emotional reagiert man auf den Unruhestifter, der die Botschaft verkündet: "Bei uns ist nicht alles in Ordnung." Wir brauchen viel mehr dieser Verräter. Man sollte "Nestbeschmutzer" zum nächsten Unwort des Jahres erklären.

Die künstliche Drohkulisse der selbsternannten Antirassisten

Bei meiner Arbeit bei "Peri Verein für Integration und Menschenrechte" erlebe ich immer wieder, dass man mit dieser Integrationspolitik des Wegsehens und Verharmlosens eben nicht die Schwachen in bestimmten Einwanderergruppen schützt, sondern nur den Starken freien Raum zur Unterdrückung gibt. Für die Soziologin Naika Foroutan sind Frauen, die unters Kopftuch gezwungen werden, Hirngespinste. Ich spreche mit solchen Hirngespinsten, die mir als wirkliche Menschen gegenübersitzen. Sie erzählen von einem Leben in tief religiösen Familien, das für uns kaum vorstellbar ist. Kopftuchzwang ab der Grundschule. Verbot von nichtreligiöser Musik. Verbot, die deutsche Freundin zu besuchen, wenn männliche Verwandte im Haus sind. Das sind alles noch die eher harmlosen Phänomene.

Buschkowskys Karriere in Bildern:

Aber unsere selbsternannten "Antirassisten" interessiert das alles nicht. Sie bauen lieber eine Drohkulisse auf gegen jene, die die Missstände benennen. Serap Cileli, unsere Vereinsvorsitzende, kann ein Lied davon singen. "Sie werden doch wohl von der NPD bezahlt?", fragt eine Deutsche sie auf einer unserer Veranstaltungen. "Wir wissen übrigens, wo Sie wohnen", sagt eine Gruppe türkischstämmiger Männer nach der Veranstaltung.

In unserem Verein herrscht ungläubiges Entsetzen über die Rassismusvorwürfe gegen Buschkowsky. Diese Art der Debattenkultur erschwert unsere Arbeit und verhindert, dass Opfern von Gewalt und Unterdrückung geholfen wird. Wir als Gesellschaft brauchen eine andere, offenere Form des Umgangs mit Integrationsproblemen. Unser Augenmerk liegt leider viel zu wenig auf dem "Rassismus der Antirassisten", wie Pascal Bruckner es nennt, wenn Gutmeinende den Ethnozentrismus und die Abschottungstendenzen einer Minderheit verherrlichen. Sie sollten anfangen, sich die Frage zu stellen, welche ihrer Vorwürfe gegen Buschkowsky auf sie selbst zurückfallen könnten.
Der Verfasser ist Pressesprecher von "Peri Verein für Integration und Menschenrechte e. V." www.peri-ev.de/

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false