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Kaiserin Sisi auf einem Ölgemälde.

© dpa

Gastkommentar: Ungarn wird gedemütigt

Was die Kritiker aus der Europäischen Union in Bezug auf den Umgang mit Ungarn von Sisi lernen können. Der Weg ist nicht fortdauernde Demütigung, sondern Nachsicht und Anerkennung.

Nein, ich weiß immer noch nicht, was in dem neuen ungarischen Mediengesetz steht, Ungarisch ist bekanntlich eine schwere Sprache. Den meisten Kommentatoren außerhalb Ungarns dürfte es ähnlich gehen, was sie allerdings nicht gehindert hat, eine Aufregung zu inszenieren, die einer gerechteren Sache würdig wäre. Ob es nun am Ende einige Bestimmungen gibt, die so oder auch anders hätten formuliert werden können, mag dahinstehen, den einhellig über ihm gebrochenen Stab hat ein Volk nicht verdient, das in seiner jüngeren Geschichte ähnlich wie die Polen mehr für die Freiheit Europas gelitten und geleistet hat als die Völker der wohlfeilen Kritiker.

Die Jahreszahlen 1848, 1956 und 1989 stehen für die bedingungslose Verteidigung der Freiheit, die nur einmal – zuletzt – reife Frucht getragen hat. Doch nicht nur verlorene Freiheitskämpfe, eine schamlose europäische Unterdrückung verbindet die Ungarn mit dem ähnlich historisch gestraften Polen.

Denn gegen den Friedensvertrag von Trianon, mit dem Ungarn 1920 zwei Drittel seines Territoriums verlor, war der oft für den Aufstieg Hitlers mitverantwortlich gemachte Vertrag von Versailles nur ein lindes Lüftchen. Landschaften, die keiner mehr nennt – West-Ungarn, Kroatien, die Slowakei, das Banat und Siebenbürgen – verlor das Königreich, obwohl es an dem Desaster nicht schuldiger war als die anderen, Sieger wie Besiegte. Man muss keiner romantischen Pusta-Seligkeit anhängen, um zu verstehen, dass ein solcher Schock in einem Volk lange nachwirkt und Geschichte länger präsent hält als in manch anderen, glücklicheren Ländern.

Es ist deshalb keine gelungene europäische Integrationsidee, den Stolz der Ungarn zu demütigen und ihre Wahlentscheidung nachträglich zu delegitimieren. Man wird den Verdacht nicht los, dass der rechte Charakter der neuen ungarischen Regierung die Kritiker noch zusätzlich verbittert – ein ungarischer Chavez oder Morales hätte wahrscheinlich weit weniger Irritationen ausgelöst. Noch ist kein Artikel zensiert, keine Zeitung verboten worden, und anders als in Berlusconis Italien dienen die elektronischen Medien noch nicht den Interessen eines einzelnen Mannes.

Wie man ein stolzes Volk aus seiner selbst gewählten Isolierung und Verbitterung befreit, hat im Falle Ungarns eine Frau demonstriert, die bei uns allenfalls als Touristenmagnet taugt – Kaiserin Elisabeth von Österreich. Ihr gelang es, Kaiser Franz Joseph von der Idee des Ausgleichs von 1867 zu überzeugen, eines Ausgleichs auf Augenhöhe, der die vier glücklichsten Jahrzehnte des Reiches unter der Stephanskrone einleitete. Nicht fortdauernde Demütigung, Nachsicht und Anerkennung waren Elisabeths Wege in die Herzen der Ungarn. Vielleicht sollte Europa ein wenig von der gern als Sisi verkitschten Ungarn-Versteherin lernen.

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