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Die Enthüllungen des Chaos Computer Clubs machen deutlich, wie weit die technische Entwicklung bei der Verfeinerung von Überwachungsmechanismen vorangeschritten ist.

© dapd

Staatstrojaner: Angriff aufs Ich

Was ihre Privatsphäre angeht, ist diese Republik abgestumpft. Der Skandal um den Bundestrojaner ist ein Weckruf. Staat und Bürger müssen sich jetzt fragen, was sie sein wollen: Ein Rechtsstaat oder ein Präventivstaat.

Von Anna Sauerbrey

Wie immer blieb das Digitale auch diesmal unsichtbar. Wäre die staatliche Wanze, die der Chaos Computer Club auf mehreren Festplatten gefunden hat, aus Plastik und Glas, wäre sie vermutlich mindestens so groß wie ein Schuhkarton. Man hätte sie in die Kameras der Fernsehleute gehalten und die hätten Close-ups gefilmt von der Linse, die alle paar Sekunden ein Abbild vom Computerbildschirm knipsen kann, von dem Mikrofon, mit dem man in Wohnungen hineinlauschen und von dem Briefkasten, in dem man Päckchen hinterlassen kann – vielleicht mit belastendem Material. Doch die Hacker fanden nur Codes, kryptische Zeichenfolgen voller Klammern und Zahlen. So bleibt das Ganze abstrakt, und schon kommt die Frage auf, ob die Enthüllung überhaupt zum Skandal taugt. Schließlich lässt sich nicht beweisen, dass die Wanze eingeschaltet war.

Was ihre Privatsphäre angeht, ist die Republik ohnehin abgestumpft. Nach dem 11. September 2001 wurde eine ganze Reihe von Eingriffen durch die Parlamente gebilligt (und später vom Bundesverfassungsgericht in Teilen wieder gestoppt), ohne dass es zu großem Widerstand kam. Wäre jeder, dessen digitales Ich einmal durch einen Rasterfahndungscomputer gelaufen ist – jeder zehnte Deutsche – im Auto auf den Seitenstreifen gewunken worden, hätte es sehr viel mehr Ärger gegeben. Aber wer digital durchleuchtet wird, kommt eben nicht zu spät zur Arbeit. Hinzu kommt eine Desensibilisierung durch das Internet, ein vages Gefühl, dass man ohnehin irgendwie transparent ist, die neue Lust, sich aufzulösen in einer universellen Datenwolke. Desensibilisierung, Digitalisierung und Datenexhibitionismus dürfen allerdings nicht Rechtfertigung für weniger Zurückhaltung des Staates sein, im Gegenteil. Er muss noch umsichtiger werden, aus zwei Gründen.

Der erste ist, dass sich unser Leben immer mehr komprimiert. In der Ermittlungs- und Spionagewelt der 70er Jahre konnte noch getrennt werden zwischen Telefonabhören und Wohnungsdurchsuchung. Wollte man sich in den Ordnern eines Verdächtigen umschauen, brauchte man einen Nachschlüssel oder musste die Tür eintreten. Wollte man hören, was er sagte, musste man eine Wanze einbauen. Heute gibt es einen für alles: den Trojaner. Raum und Kommunikation, Privates und Öffentliches liegen auf wenigen Zentimetern Festplatte dicht nebeneinander, Regale mit Steuerakten, Fotoalben, Liebesschwüren und geschäftlicher Korrespondenz. Der Kernbereich privater Lebensgestaltung, den das Grundgesetz besonders schützt, ist abstrakter geworden – und deshalb verletzbarer. Hier technisch sauber zu trennen, ist schwierig, wie die Enthüllung des CCC zeigt.

Der zweite Grund ist die Freiwilligkeit. Ob und wo sich der Bürger digital auszieht, muss er weiterhin selbst entscheiden können. Es ist eine Sache, sich bei Facebook anzumelden, auch auf die Gefahr hin, dass die eigenen Daten zum Handelsgut werden. Der Staat hingegen muss das Vertrauen der Bürger auf besondere Weise rechtfertigen. Niemand kann sich für oder gegen ihn entscheiden. Er gilt für alle und hat deshalb eine besondere Verantwortung. Was der CCC berichtet, weist darauf hin, dass sich nicht alle Verantwortlichen dessen ausreichend bewusst sind. Das ist dramatisch, denn die technische Entwicklung schreitet weiter voran. Bild- und Spracherkennung werden ständig verbessert, schon jetzt ist es möglich, jeden Einzelnen über sein Handy immer und überall zu erfassen. Das wird Gesetzgeber und Exekutive immer wieder vor die Entscheidung stellen, was wir sein wollen: ein Rechtsstaat oder ein Präventivstaat.

Deshalb sind klare Grenzen wichtig. Länder und Bund, Zoll und Verfassungsschutz dürfen sich nun nicht die Schuld gegenseitig zuschieben, sondern müssen offenlegen, woher die Software stammt und warum sie programmiert war, wie sie es war. In Zukunft braucht es mehr Expertenwissen, auch bei den zuständigen Richtern und Staatsanwälten, die die Maßnahmen im Einzelnen abwägen. Und es braucht eine neue Denkkultur. Die digitale Privatsphäre ist abstrakt. Gerade deshalb gilt es, darum zu kämpfen.

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