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Anhalter Bahnhof: Der freie Himmel

Theater im Gefängnis - unter dem Namen "aufBruch" spielen Berliner Häftlinge den "Schwejk". In der JVA Heidering in Großbeeren. "Freiluftgefangenentheater" nennen sie es.

Der San Francisco Actor’s Workshop veranstaltete im Jahre 1957 ein folgenreiches Experiment. Die Truppe zeigte im Zuchthaus von San Quentin Samuel Becketts „Warten auf Godot“. Zu jener Zeit tat sich die Welt noch schwer, Beckett zu verstehen; für die meisten war es bloß absurdes Theater, ohne Sinn und Verstand. Die kalifornischen Strafgefangenen aber, die noch nie in ihrem Leben eine Theateraufführung gesehen hatten, waren konsterniert – und begeistert. Die beiden Typen, die da eines Monsieur Godot harren, das waren sie selbst. Ausgestoßene, Vergessene. Wenig später gründeten einige von ihnen den San Quentin Drama Workshop. Das Ensemble um Rick Cluchey, der 1966 seine Strafe verbüßt hatte, wurde weltberühmt. Cluchey und Beckett trafen sich später in Berlin, der Nobelpreisträger und einer seiner besten Interpreten auf der Bühne.

Die Geschichte erzählt von der Kraft des Theaters. Von Mut und ungewöhnlichen Wegen. Von der Liebe zum Spiel und der Lust der Verwandlung, der Sehnsucht nach Form und Ausdruck, wenn man im Leben einmal gescheitert ist, und von der therapeutischen Energie der Selbstdarstellung und Interaktion.

Theater im Gefängnis gibt es seit zehn Jahren auch in Berlin. Die Künstler, die das möglich machen, firmieren unter dem Namen „aufBruch“. Darin steckt das Kaputte, Kriminelle, aber auch der Neubeginn. In der JVA Tegel und in Plötzensee haben sie gespielt, Stücke nach Goethe („Götz von Berlichingen“) und Schiller („Wallensteins Lager“), aber auch griechische Klassiker und Bibelstoffe („Kain und Abel“).

Und nun der „Schwejk“. Der brave Soldat. Der sich durchschlägt, sich dumm stellt. Witzbold, Überlebenskünstler, armes Schwein im Ersten Weltkrieg. Es ist eine doppelte Premiere. Zum ersten Mal spielt „aufBruch“ in der neuen JVA Heidering in Großbeeren, für die Vorstellungen im September hat der Vorverkauf begonnen (Tel. 033701/366003). Schwejk ist ein Einzelgänger, aber Theater funktioniert nur im Team. Miteinander ein Spiel entwickeln, tanzen, musizieren, das ist die schönste Form der Disziplin. „Freiluftgefangenentheater“ nennen sie es. Ein großartiges Wortungetüm. Theater reißt einen Himmel auf, gibt Luft zum Atmen. Es nimmt gefangen und lässt frei.

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