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Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

© dpa

Atomares Endlager: Mit Gorleben verlieren die Grünen wichtiges Kapital

Der Aufstieg der Grünen ist eng mit der Atomkraft verknüpft, mit sterbenden Bäumen und dreckiger Luft. Doch mit dem Endlagerkompromiss geht der Partei auch eines ihrer wichtigsten Symbole verloren. Denn mit abstrakten Ideen lassen sich keine Wähler gewinnen.

Von Anna Sauerbrey

Es ist ein neuer Höhepunkt in der jüngsten grünen Erfolgsgeschichte: Dank der Entspannungspolitik des baden-württembergischen Minister-Präsidenten Winfried Kretschmann gibt es nach jahrzehntelangem Wetthocken in der Endlagersackgasse endlich einen Kompromiss. Das große grüne Projekt, die Abschaffung der Atomkraft in Deutschland, ist erneut einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Jetzt drohen die Sieger zu Opfern ihres eigenen Erfolgs zu werden. Mit der Atomkraft schaffen die Grünen sich selbst ab. Zumindest zuerst einmal die starken Symbole, die jahrzehntelang Garanten ihres Erfolgs waren. Symbole wie Gorleben.

Mit abstrakten Ideen lassen sich keine Wähler gewinnen. Der beste Beleg dafür ist die FDP. Die Verkaufsargumente des Liberalismus haben alle etwas mit „Freiheit von ...“ zu tun: Freiheit von staatlicher Bevormundung, Freiheit von Überwachung, Freiheit von Steuern. Die Liberalen werben mit der Abwesenheit von abstrakten Übeln. Der Erfolg ist bekanntlich mäßig.

Die Grünen hingegen konnten und können aus einem reichen Fundus an emotional aufgeladenen Symbolen schöpfen. Die Angst der Deutschen ernährt die Partei. Die Grünen sind gewachsen, je erbarmungswürdiger die Bäume ihre entlaubten Äste in den sauren Regen reckten. Die Atomreaktoren, an denen jeden Tag tausende Deutsche vorbeifahren, sind regelrechte Landschaftsmahnmale, im Bildgedächtnis der Nation eng verknüpft mit den krebskranken und missgebildeten Kindern von Tschernobyl. Eine ganze Generation niedersächsischer Jugendlicher wurde politisch sozialisiert entlang einer Bahntrasse, auf der die Castoren vorbeirollten.

Die Energiewende aber taugt nicht zum Symbol, im Gegenteil. Abgesehen von den Windrädern und Stromtrassen, die kaum der Identifikation dienen, produziert sie keine Bilder. Die Substanz der Energiewende sind die Zahlen und Paragrafen der Öko-Bürokratie. Sie versteckt sich im Schwarz auf Weiß der Stromrechnung und in den Förderbedingungen der KfW-Bank. Der Emissionshandel ist gleich dreifach virtuell: Strom kann man nicht sehen, der Handel damit ist digital und der Markt selbst ist durch so viele Eingriffe unterwandert, dass man ihn als fiktiv bezeichnen kann. Zwar kommt jeder Deutsche ständig mit der Energiewende in Berührung. Aber es ist die verschämte Berührung der Technokraten. Und die finden die meisten unangenehm.

Die Grünen scheinen zu ahnen, dass ihnen das symbolische Kapital bald ausgeht. Die Steuerpläne der Partei zeugen von der fieberhaften Arbeit an einer neuen emotionalen Erzählung. Der Plan ist es offenbar nun, die allergerechteste Gerechtigkeitspartei von allen zu sein, mit einem höheren Spitzensteuersatz, einer zeitlich begrenzten Vermögensteuer und gedeckelten Splittingvorteilen – alles gründlich durchgerechnet, versteht sich.

Das ist klug und vorausschauend und vielleicht können die Grünen am Ende doch verhindern, dass sich folgender ironischer Twist in den Geschichtsbüchern von 2040 findet: Der Fukushima-Ministerpräsident Winfried Kretschmann, größter Profiteur der grünen Symbolik, selbst Symbol für den Höhepunkt des grünen Erfolgs, kippt die Ikone Gorleben – und steht damit gleichzeitig für den Anfang vom Abstieg der Partei.

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