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Krieg in Libyen: Aufstand des Gewissens

Krieg bedeutet immer Eskalation. Diese im Griff zu behalten wird darüber entscheiden, ob der Waffengang in Libyen als eine Tat des Weltgewissens in Erinnerung bleibt oder als imperialistischer Alleingang einer willigen Koalition alter und neuer Kolonialmächte.

In Bengasi stünden heute die Galgen. Soldaten würden Haus für Haus die Stadt durchkämmen, wie es der Despot Muammar al Gaddafi in seinen wüsten Reden angedroht hatte. Vergangenen Samstag röhrten seine Panzer in der Rebellenhochburg bereits auf der Gamal-Nasser-Transversale, an deren Ende der Justizpalast steht, das Nervenzentrum der Opposition. Wer Zweifel hegt, was Gaddafi mit den Aufständischen vorhat, der braucht sich nur die Helfer vor Augen zu führen, die in der Katiba-Kaserne von Bengasi verzweifelt nach lebendig begrabenen Opfern suchen. Die Hafenstadt am Mittelmeer hätte ein blindwütiges Morden erlebt, wären nicht am Samstagnachmittag westliche Jets gerade noch rechtzeitig am Himmel aufgetaucht. Sie haben erst einmal das Schlimmste abgewendet, Leib und Leben der Zivilbevölkerung gerettet und Gaddafis Soldateska zum Rückzug gezwungen.

Der Preis dafür ist ein neuer Krieg im Nahen Osten, auch wenn die westlichen Luftangriffe diesmal von einem Mandat des UN-Sicherheitsrats und einem Kopfnicken der Arabischen Liga autorisiert sind. Die ersten Tage solcher Einsätze sind meist übersichtlich – Gut und Böse bleiben in der Wahrnehmung säuberlich getrennt. Krieg und Moral scheinen zusammenzugehen. Ein Trugbild: Krieg bedeutet immer auch Eskalation. Diese Eskalation, so gut es geht, im Griff zu behalten, ohne in alte Fallen zu tappen, wird darüber entscheiden, wie der Waffengang ausgeht. Ob er als eine Tat des Weltgewissens in Erinnerung bleibt oder als imperialistischer Alleingang einer willigen Koalition alter und neuer Kolonialmächte der Region. Drei Aspekte sind dafür maßgebend – die wirkliche Rückendeckung der Arabischen Liga, die ständige politische Überwachung des Kampfeinsatzes durch den UN-Sicherheitsrat sowie die Hauptrolle des libyschen Volkes auf seinem Weg in die Zukunft.

Bisher allerdings ist die Beteiligung der arabischen Staaten absolut unzureichend. Nach dem Rückzieher der Vereinigten Arabischen Emirate sind jetzt nur noch vier Jets aus Katar mit im Einsatz. Ägypten schweigt, Gaddafis Erzfeind Saudi-Arabien ebenfalls. Und alle schickten schon weniger als 24 Stunden nach Beginn der Bombardierungen ihren Generalsekretär Amr Mussa vor, sich von dem Liga-Beschluss vor einer Woche wieder zu distanzieren. Der Arabische Staatenbund schlingert, er will sich diplomatische Hintertüren aufhalten, falls in den nächsten Tagen Raketen fehlgehen.

Umso wichtiger, dass der Fortgang der Kriegshandlungen eng an Beratungen des UN-Sicherheitsrats gekoppelt wird. Das ist das Gremium, in dem Zweifel am Kurs geäußert und Korrekturen vorgenommen werden müssen. Das nächste Treffen ist für Donnerstag geplant. Wer in New York gegen weitere Angriffe plädiert, steht vor der Welt in der Verantwortung. Und Gaddafi, der seine Bevölkerung mit Panzern und Artillerie zusammenschießt, darf nicht hoffen, dass er sich mit seinem Öl bald wieder die Kumpanei des Schweigens erkaufen kann.

Ein Regimewechsel in Tripolis jedoch ist nicht Sache der Nato oder der arabischen Nachbarn – der bleibt Aufgabe des libyschen Volkes. 42 Jahre hat es Gaddafi ertragen oder sich mit ihm eingerichtet. Sein Sturz sollte durch einen Volksaufstand in den westlichen Provinzen kommen, nicht durch einen Rebellenvormarsch auf Tripolis unter alliierter Luftdeckung. Nur dann werden sich die Libyer am Ende als Meister ihres Schicksals fühlen. Nur dann werden sie für alle Folgen ihrer Freiheitsrevolution einstehen.

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