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Auswärtiges Amt: Die braune Zeit

Dass die Erkenntnisse über die Rolle des Auswärtigen Dienstes im „Dritten Reich“, die eine Forschergruppe erarbeitet hat, für die Bundesrepublik keine wirkliche Überraschung darstellen, macht die Betroffenheit darüber nicht geringer.

Und dass die Verwicklung der Diplomaten in das NS-Regime auch nur der entsprach, in der sich der überwiegende Teil der deutschen Gesellschaft damals befand, nimmt der Arbeit der Historiker nichts von ihrer beunruhigenden Wirkung. Denn sie belegt, wieder einmal, das Ausmaß und das Gewicht der Hypothek, die die zwölf Jahre für das Bewusstsein der Deutschen von ihrer Geschichte und damit eben auch für ihr Bild von sich selbst bilden.

Und es macht das damit aufgeworfene Problem keineswegs leichter, dass auch diese Studie keine Monsterfiguren zutage gefördert hat. Im Auswärtigen Dienst sind keine Eichmanns und Kaltenbrunners tätig gewesen. Es waren Schreibtisch-Zuarbeiter, die der Mordmaschinerie mit Abzeichnung von Protokollen und propagandistischer Begleitarbeit halfen. Doch damit treibt die Studie den schmerzenden Dorn der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nur umso tiefer ins deutsche Fleisch: Wie ist zu erklären, dass eine Gruppe gebildeter, qualifizierter Individuen, zumeist ausgezeichnet mit einem hohen Sinn von sich und ihrer Aufgabe, zum Helfer und Hehler bei einem Menschheitsverbrechen wurde?

Der Auswärtige Dienst war eben nicht – wie einer der Historiker formuliert hat – eine „Verbrecherorganisation“. Aber das Amt stellte seine Professionalität dem Verbrechen zur Verfügung, vielleicht auch widerstrebend, oft aber auch mit dem Stolz von Fachleuten, die eine Aufgabe sehen. Vor allem muss man wohl die lange gehätschelte Ansicht beerdigen, der Dienst sei ein Hort des Widerstandes gewesen. Es gab in seinen Reihen Anstand, Gradlinigkeit, Gegnerschaft, auch solche, die bis an den Rand der Verschwörung gingen. Aber erstens waren solche Haltungen nicht sehr verbreitet und zweitens hängt ihnen die Frage an, wie sie zu bewerten sind, wenn sie einhergehen mit dem Beitrag zum Funktionieren des Systems.

Es spitzt das Problem noch zu, dass viele der Diplomaten ihre Tätigkeit in der Bundesrepublik fortgesetzt haben. Und zwar ohne sich daraus ein Problem zu machen. Das bleibt der zweite Teil dieser Geschichte, die die Nachgeborenen umtreiben muss. Ex-Außenminister Fischer, der vor fünf Jahren den Anstoß zu dieser Untersuchung gegeben hat, räumt der Diplomatengeneration, die die Wende vom „Dritten Reich“ zur Bundesrepublik so geräuschlos gesteuert hat, fairerweise ein, dass sie ihren Beitrag geleistet hat, das Bild der Deutschen in der Welt von Grund auf zu verändern; selbst einen gewissen Kastengeist hält er dem Berufsstand zugute. Umso schwerer wiegt, wie sehr sie uns die Reflexion über die eigene Rolle schuldig geblieben ist.

Das Urteil über das Auswärtige Amt im „Dritten Reich“ wirft – wie, notabene, andere Institutionen, Ministerien, Verwaltungen, Universitäten, Wirtschaftsunternehmen – auch die Frage nach Schuld und Mitschuld auf. Vor allem konfrontiert es uns jedoch mit mit der quälenden Denkaufgabe, ob und wie eine „normale“ Existenz im „Dritten Reich“ möglich war: also wie unsere Väter, Großväter, Urgroßväter damals ihr Leben gelebt haben. Formuliert man dieses Problem als Frage, ob es ein richtiges Leben im falschen geben kann, wird offensichtlich, dass es über die braune Zeit hinausführt.

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