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Unscharf auf Distanz. Bundespräsident begrüßt frisch eingebürgerte Deutsche.

© dpa

Einbürgerung: Herzlich willkommen im geschlossenen Land

Christian Wulff begrüßt neue Deutsche, doch Angst prägt weiter die Einwanderungspolitik. Dieser Abwehrimpuls ist nicht nur gegen die von draußen unmenschlich.

Das einzige Mittel eines Bundespräsidenten sind Worte, und Christian Wulff hat die richtigen gefunden, wahre und gute. Als er am Freitag in Berlin 22 neuen Deutschen ihre Einbürgerungsurkunden überreichte, sagte er, dass Deutsch-Sein nicht mehr selbstverständlich heiße, einen deutschen Namen zu tragen. Und es war gut, dass er die neuen Bürger als „willkommenen Teil“ eines Landes ansprach, das sich verändere.

Wulff sprach auch von einem „wunderbaren, wenn auch nicht ganz einfachen Land“. Da hat er ein wenig untertrieben. Der Umgang Deutschlands mit seinen Einwanderern ist nach mehr als einem halben Jahrhundert Masseneinwanderung noch immer höchst widersprüchlich. Vor 55 Jahren wurde der erste Anwerbevertrag mit Italien unterzeichnet, Ende Oktober wird der mit der Türkei 50 Jahre alt. Doch der Widerspruch zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist stark wie eh und je. Nur seine Formen hat er gewechselt. Der Hunger der deutschen Wirtschaft nach Arbeitskräften ließ das Selbstbild der Nation schon damals selbstbetrügerisch werden, aber man glaubte, man könne die Fremden ja wieder loswerden. Stattdessen ist man heute diese Illusion los.

Eine andere Illusion hat sie abgelöst: Dass die ungewollt Hiergebliebenen und ihre Kinder zu guten Deutschen gemacht werden könnten – man nennt es „Integration“ – und man die Grenzen gegen alle dicht machen müsse, die ihnen folgen wollen. Die deutsche Visapraxis und die zögerliche bis verschleppte Umsetzung europäischer Richtlinien zur Freizügigkeit sind Beispiele eines Denkens, das ängstlich um Abwehr kreist.

Dieser Abwehrimpuls, der die Einwanderung in Deutschland seit jeher begleitet, ist leider nicht nur gegen die von draußen unmenschlich. Er wirkt auch verheerend nach innen. Verweigerte Visa schicken in jede einzelne Einwandererfamilie die Botschaft, dass es zwei Klassen von Familien gibt: Die Müllers und Meiers, die ihre Familienfeste mit allen Tanten und Großeltern feiern können und die Öztürks und Popows, deren Verwandtschaft hinter der türkischen und russischen Grenze bleiben müssen. So werden die neuen Deutschen immer wieder auf ihr Anderssein gestoßen, werden ihnen die Grenzen der Integration vor Augen gehalten. Selbst das seit mehr als zehn Jahren gültige neue Staatsangehörigkeitsrecht hat diesen paradoxen Effekt: Es schuf für die zweite und dritte Generation erstmals ein Recht darauf, deutsch zu sein – und ließ es prompt zum Recht zweiter Klasse werden. Junge Türken müssen sich per Pass von einer Hälfte ihrer Herkunft trennen, wenn sie den deutschen nicht verlieren wollen.

Natürlich ist das alles Politik; im Alltag ist die Buntheit Deutschlands besser akzeptiert als ängstliche Minister und Beamte glauben. Aber jeder Behördengang, jeder Auslandsurlaub konfrontiert mit den Folgen von Politik. Deshalb wird es Zeit, dass die Politik auf die Höhe der Zeit kommt.

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