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Immer am Netz: Mitglieder der Piratenpartei auf dem Bundesparteitag in Offenbach.

© rtr

Analyse zum Parteitag: Das kalte Glück der Piraten

Auf ihrem Bundesparteitag in Offenbach haben die Piraten konstruktiv gearbeitet. Doch der Weg dazu, eine große Partei zu werden, ist in vieler Hinsicht noch weit. Eine Analyse.

Nein, die Piraten haben sich bei ihrem Bundesparteitag in Offenbach, dem ersten großen Zusammenkommen seit dem Berliner Wahlerfolg, nicht blamiert. Sie haben vielmehr Beschlüsse gefasst, die sie auf dem Weg von der Ein-Themen-Partei zu einer etablierten sozial-liberalen Kraft entscheidend weiter führen könnten.

Die Piraten sind für ein Urheberrecht, das kleine Urheber ebenso schützen soll wie Privatkopierer von urheberrechtlich geschützten Gütern, sie sind für ein bedingungsloses und existenzsicherndes Grundeinkommen im vierstelligen Eurobereich, gegen Sanktionen bei Hartz IV und für die Begrenzung der Leiharbeit, sie sind für die strikte Trennung von Staat und Religion und für eine liberale Drogen- und Suchtpolitik, desweiteren gegen Rechtsextremismus, für eine integrierende Migrationspolitik und - bemerkenswert in diesen Zeiten - für Europa, freilich ohne konkrete Positionen etwa zur Eurokrise entwickelt zu haben.

Kurzum, die Piraten sind rein programmatisch wählbar für all diejenigen, die die Unfertigkeit der Partei aushalten können oder gar als Chance begreifen und zudem bereit sind, eine gerade im Angesicht der allgegenwärtigen Männerdominanz beim Parteitag fast schon absurde Verstocktheit der Pirat_innen in der Frage einer möglichen Gender-Diskussion zu ertragen.

Sie sind nicht populistisch, eine lupenrein basisdemokratische Partei, die sich mit ihren Beschlüssen zur Integration und Sozialpolitik bei gleichzeitiger Absage an eine Kappung von Managergehältern dem bestehenden, um die marktliberale FDP erweiterten Links-Rechts-Schema des deutschen politischen Systems weiterhin erfolgreich entzieht. Kurzum: ein interessantes Projekt.

Die große Frage bleibt indes, wie tragfähig das Modell der teildigitalen Anti-Parteien-Partei auch in einer möglichen großen Zukunft bleibt. Schon jetzt stößt das basisdemokratische System an Grenzen, die beim Offenbacher Parteitag durch die allgemeine Euphorie nach dem Berliner Wahlsieg noch künstlich geweitet waren. Ein Konflikt darüber, wie viel Pragmatismus das Demokratieverständnis der Piraten verträgt, scheint auf die Dauer unvermeidlich.

Auch den Piraten wird insgeheim bewusst sein, wie sehr der dieser Parteitag seinen Erfolg einer vorher kaum gekannten Disziplin zu verdanken hat. Dass eine von einer Antragskommission und dem Bundesvorstand vorgeschlagene Top40-Antragsliste ganz zu Beginn des Parteitags vom Plenum durchgewunken wurde, darf in diesem Kontext als Knackpunkt verstanden werden.

Was aber, wenn die Partei keinen Weg findet, ihre übermächtige Basis auch langfristig zu zähmen? Was, wenn die zahlreichen Konflikte zum nächsten Parteitag im Frühjahr, bei dem auch ein neuer Bundesvorstand gewählt wird, wieder aufbrechen? Was, wenn es dazu kommt, dass Berliner und Baden-Württemberger, Digitalisierer innerparteilicher Prozesse und ihre Bremser, Rechte und Linke, die es bei den Piraten durchaus auch gibt, übereinander herfallen?

Was auch, wenn die Partei in Fragen dubioser Mitglieder und Ex-Mitglieder wie dem Holocaust-Relativierer Bodo Thiesen oder dem wegen des Besitzes von Kinderpornographie strafrechtlich verurteilten Jörg Tauss weiterhin keine klare Sprache findet, sondern lieber - wie auch in Offenbach zu beobachten - genervt schweigt und sich schmallippig auf die gefassten Beschlüsse gegen rechts und für Tauss' Rauswurf zurückzieht?

Der Pragmatismus, den die Piraten in Zukunft brauchen werden, betrifft längst nicht nur die organisatorischen Strukturen ihres Systems. Er betrifft auch die Kommunikation der eigenen Beschlüsse, Ideen und Überzeugungen. Nur allzu oft wirkte die Außendarstellung der Piraten auch bei diesem Parteitag besserwisserisch und wenig konziliant. Sinnbildlich hierfür waren die vielstimmigen Buhrufe, die im Plenum all jene trafen, die die Beschlüsse zu einer extrem liberalen Drogen- und Suchtpolitik auch mit dem Verweis auf das mögliche öffentliche Echo kritisch hinterfragten.

Piraten, das wurde immer wieder deutlich, interessieren sich nicht für ihre Außenwirkung, sondern vor allem für sich selbst. Das mag man ehrenhaft finden, man kann aber in diesem hochwichtigen Detail der piratischen Politikkultur auch eine Selbstgerechtigkeit erkennen, deren Bedeutung niemand unterschätzen sollte, der die Piraten wegen inhaltlicher Übereinstimmungen wählen möchte: Denn ein bisschen ist dies, so scheint es, immer noch die Welt der Nerds, in der Expertentum soziale Kompetenz auspunktet, und in der es nach der Ansicht noch zu vieler ihrer Bewohner in zu vielen Fragen keine zwei Meinungen, sondern nur die binäre Differenz von Wissen und Nichtwissen geben darf - gerade in der Kommunikation mit Nicht-Piraten.

Das auch in Offenbach allgegenwärtige Geläster über die chronisch hinterherhinkenden "Internetausdrucker" betrifft vermeintlich nur die Politiker der anderen Parteien. In Wirklichkeit trifft es jeden, der sein Wissen anders ordnet als die Mitglieder der selbsterklärten "Partei der Informationsflüsse".

Das alles zeugt einerseits von mangelnder Erfahrung, andererseits aber auch von einem mangelnden Respekt gegenüber denen, die den diffizilen innerparteilichen Meinungsfindungsprozessen nicht in jedem Punkt folgen beziehungsweise nicht folgen wollen. Das hehre Ziel der Bundesgeschäftsführerin Marina Weisband, die Menschheit durch eine gerechte Teilhabe an Wissen zum Glück zu führen, wird dort gefährdet, wo Piraten Andersmeinende als Nichtwissende behandeln und so ein denkbar kaltes Licht auf das von Weisband propagierte Glück werfen.

Ob sich mit dieser Diskurskultur Wähler außerhalb des eigenen, informationstechnologisch versierten Kernmilieus binden lassen, darf auch angesichts einer erfolgreichen inhaltlichen Arbeit in den letzten zwei Tagen getrost bezweifelt werden. Aber vielleicht ist das langfristig auch egal.

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