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Bundeskanzlerin Angela Merkel.

© dpa

Profil der CDU: Das verlorene, konservative Gefühl

Wahrscheinlich wäre es das Beste, was der CDU passieren könnte, dass es endlich einmal einer tut: eine neue Partei für die Konservativen gründen. Ein Kommentar.

Von Robert Birnbaum

Für die CDU wäre die Gründung einer neuen konservativen Partei vermutlich von Vorteil. Erstens ist die Chance groß, dass ein solcher Club sich binnen kurzer Zeit selbst erledigt hätte, zerrissen am Widerspruch zwischen einigen Aufrechten und ganzen Scharen fundamentalistischer Spinner religiöser, spießbürgerlicher oder schlicht reaktionärer Prägung. Zweitens wäre es für die CDU trotzdem ein Segen. Sie hätte endlich auf dieser Flanke einen identifizierbaren Widersacher. Nichts hilft bei der Schärfung des eigenen Profils, bei der Selbstvergewisserung so gründlich wie fassbare Gegner.

Denn das Problem der CDU mit ihren Konservativen liegt genau im schwer Fassbaren. Alle Jahre wieder bricht dieses diffuse Unbehagen auf. Die Anlässe sind verschieden, doch immer endet es in der Klage: Die CDU, speziell ihre Vorsitzende, vernachlässige das Konservative. Die Vorsitzende führt dann ein Gespräch mit den Katholiken, den Vertriebenen oder welche Gruppe auch immer gerade die Fronde angeführt hatte, und der Generalsekretär organisiert einen Familienkongress. Es hilft nur nichts. Das Unbehagen bleibt latent bis zum nächsten Ausbruch. Langsam ist es sogar demoskopisch nachweisbar: Umfragetiefs um 30 Prozent bedeuten, dass nicht nur der Laufkundschaft das Bekenntnis zur größten Regierungspartei peinlich wird; auch Stammwähler wenden sich ab.

Dieser leise Exodus der Resignierten ist viel gefährlicher als jede neue Partei. Wer führende Unionspolitiker fragt, was sie dagegen tun, bekommt meist die hilflos-trotzige Gegenfrage gestellt, er möge doch erst mal sagen, was denn „konservativ“ sein solle. Für oder gegen Atomkraft? Für oder gegen einen zugigen Stuttgarter Bimmelbahnhof? Für Frauen am Herd oder für die Rettung der Familie dadurch, dass Männer und Frauen arbeiten und trotzdem Zeit für Kinder haben können?

Tatsächlich ist eine scharfe Definition schwierig. Falsch ist bloß, daraus zu schließen, dass es „das Konservative“ nicht oder nicht mehr gibt. Es teilt nur das Schicksal aller Ideologien in der beschleunigten Moderne. Was sich früher als festes Set von Meinungen, Haltungen und Verhalten beschreiben ließ, ist nur noch diffuses Lebensgefühl. Als Mentalität ist es aber sehr verbreitet – eine Art Alltagskonservativismus, der Fahrkartenautomaten nicht als Fortschritt empfindet, sondern als Zumutung.

Nun besteht die zentrale Aufgabe von Politik seit jeher darin, gegen dieses Beharren neue Wege zu gehen. Es mag Angela Merkel trösten, dass lange niemand so verachtet bei den wahren Konservativen seiner Zeit war wie dieser Pfälzer Modernist Helmut Kohl. Und es ist auch richtig, dass manche Debatte ums Konservative von Leuten losgetreten wird, die mit diesem Vehikel ganz un-konservativ ihre selbstsüchtigen Karriereziele verfolgen. Das nimmt der Sache nur nichts von ihrer Brisanz. Die Kunst von Politik besteht nun einmal darin, auch die eigenen Traditionalisten mitzunehmen.

Mitnehmen heißt: ernst nehmen. Ernst nehmen zeigt sich nicht in Sonderprogrammen für aussterbende Arten à la „Betreuungsgeld“, nicht in Parteiprogrammpassagen, nicht mal in „Gesichtern“. Es zeigt sich überhaupt viel weniger in Konkretem als in diffus Gefühligem. Nichts beleidigt zum Beispiel das konservative Empfinden mehr als mit ansehen zu müssen, dass seine Wunschregierung bisher derart stümperhaft agiert hat. Nichts befriedigt umgekehrt dieses Empfinden mehr als der Eindruck von Entschlossenheit. Deshalb hat einer wie Karl-Theodor zu Guttenberg gute Chancen, angebliches bundesdeutsches Herzensgut wie die Wehrpflicht abzuschaffen. Und so paradox es klingt: Nie hat Angela Merkel die Konservativen mehr schockiert und mehr beeindruckt als in dem Moment, als sie ihren Abgeordneten Martin Hohmann die Tür wies.

Zufrieden werden die Konservativen nie sein; die Klage über die Schlechtigkeit der Welt ist ja ihr Lebenselixier. Doch sie sind für Gesten dankbar, für Verständnis und für Wegweisung. Die CDU und ihre Chefin müssen keine konservative Politik machen. Aber ganz konservativ Politik machen müssten sie halt schon.

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