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Den Sterbenden begleiten, statt sein Leben zu beenden: Das ist oft mühsam und schmerzlich.

© dpa

Debatte um Sterbehilfe: Auf dem langen letzten Weg

Wer die politische Auseinandersetzung, die glasklare Polarisierung vermisst, sollte sie nicht beim Thema Sterbehilfe suchen. Sterbehilfe ist keine simple Frage von richtig oder falsch, verboten oder erlaubt. Und es sollte auch keine Frage von Tradition und Moderne sein.

Ganz ehrlich: Kam es Ihnen nicht auch einmal in den Sinn, vielleicht nur als flüchtiger Gedanke? Acht Jahre Koma – hätte das wirklich sein müssen, hätte Ariel Scharon das gewollt? Die armen Angehörigen, oder schlicht mitleidsloser: So ein Aufwand, was das kostet!

Die Frage, wann ein Leben aufhören soll, wann „es genug ist“, ist vielleicht die moralisch schwierigste und schwerwiegendste, die es gibt. Wer einmal am Totenbett eines geliebten Menschen gesessen und dessen Hand haltend das Ende herbeigesehnt hat – nicht für sich selbst, sondern für den mit dem Tode Kämpfenden, wer wollte, dass „es aufhört“, weil es schon für einen selbst nicht zum Aushalten war, der kennt diesen Gedanken: Wenn ich doch bloß irgendwie helfen könnte, die Qual zu beenden.

Alle modernen Gesellschaften müssen sich dieser Frage stellen. Belgien diskutiert derzeit über Sterbehilfe schon für Kinder, die USA über eine hirntote Schwangere, die wegen ihres ungeborenen Kindes nicht sterben dürfen soll. Und Deutschland unternimmt einen neuen Anlauf, hier eindeutige Regeln zu schaffen.

Das Thema ist groß genug, da ist es wenig hilfreich, es noch größer zu machen. Wie sonst soll man den Vorstoß des neuen CDU-Generalsekretärs Peter Tauber verstehen, gleich die allumfassende Debatte über Lebensschutz zu eröffnen? Er wünscht sich neben der Diskussion über das Ende des Lebens auch eine über den Anfang, genauer über Abtreibung.

Keine Frage: Auch das ist ein ethisch wichtiges Thema. Doch nach heftigsten Debatten in der Vergangenheit ist dieses Feld zumindest derzeit befriedet. Der gefundene Kompromiss mag manchem nicht gefallen, aber den Knoten jetzt wieder aufzuschnüren, zeitgleich zur schwierigen Frage der Sterbehilfe, ist ein Fehler. Und verhärtet unnötig die Fronten.

Wer die politische Auseinandersetzung, die glasklare Polarisierung vermisst, sollte sie nicht beim Thema Sterbehilfe suchen. Sterbehilfe ist keine simple Frage von richtig oder falsch, von verboten oder erlaubt, sie ist das genaue Gegenteil einer einfachen Entscheidung, das zeigt jeder einzelne Fall. Und es sollte auch keine Frage von Tradition und Moderne sein, nach dem Motto: Die Kirche und die Konservativen sind dagegen, weil sie schon immer gegen solche Eingriffe in die Schöpfung waren, weil sie vor gar nicht allzu langer Zeit sogar noch Selbstmörder posthum bestrafen wollten – doch wahrhaft human und aufgeklärt ist es vielmehr, unnötiges Leiden zu beenden und dem Willen des Einzelnen Vorrang zu gewähren.

Und doch muss die Politik eindeutige Regeln vorgeben. Der Versuch wird nun unternommen. Endlich, rufen viele. Denn die Brisanz ist spätestens da, seit es zunehmend Vereine gibt, die daraus indirekt auch ein Geschäft machen.

Die Fakten sind schnell aufgezählt: Die Gesellschaft altert zunehmend und zunehmend einsam, immer mehr Menschen werden künftig auf (fremde) Pflege angewiesen sein, und nicht zuletzt reißt der an sich segensreiche medizinische Fortschritt viele zurück von der Schwelle des Todes, wirft aber dabei auch immer mehr in den Dämmerzustand zwischen Leben und Sterben. Was möglich ist, wird möglich gemacht. Jahrelanges Koma inklusive, genauso wie steigende Kosten und Milliarden Stunden mal mehr, mal weniger liebevoller Zuwendung.

Juliane Schäuble, Politik-Redakteurin beim Tagesspiegel.
Juliane Schäuble, Politik-Redakteurin beim Tagesspiegel.

© Doris Spiekermann-Klaas

Kein Gesetz kann verbieten, dass Menschen nicht mehr leben wollen. Und wahrscheinlich kann auch kein Gesetz verhindern, dass Menschen diesem allerletzten Wunsch eines Sterbenden nachkommen wollen. Aber die Politik kann die Entscheidung erschweren, kann dazu zwingen, sich mit den Konsequenzen auch strafrechtlich auseinanderzusetzen. Der Gesetzgeber muss unterscheiden zwischen dem freien Willen des Einzelnen, zu leben oder zu sterben, und der Tat eines anderen. Sich selbst zu töten, kann nicht verboten und vor allem nicht bestraft werden. Jemanden anderen zu töten, und sei es auf dessen Verlangen, kann man bestrafen.

Die Politik sollte verhindern, dass irgendjemand menschenwürdiges und -unwürdiges Leben definiert. Gleichzeitig muss sie alles dafür tun, dass der letzte Weg so menschenwürdig wie möglich zu beschreiten ist. Dass diese Diskussion nun im und außerhalb des Parlamentes geführt wird, ist richtig und überfällig. Dass sie aus den parteipolitischen Korsetts befreit wird, ebenfalls. Denn sie ist eben genau keine Frage zwischen links und rechts, zwischen traditionell und konservativ. Und die Vergangenheit hat gezeigt: Auf die Debatte kann man sich freuen.

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