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Schüler einer vierten Klasse lesen in einer Grundschul-Bibliothek.

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Bildung in Deutschland: Der Aufstieg beginnt unten

Es ist im Interesse Deutschlands, die Arbeitskräfte von morgen frühzeitig an die Hand zu nehmen. Jedes Kind strahlt, wenn ihm ein Buch vorgelesen wird – egal ob es aus einem Professorenhaushalt oder einer Hartz-IV-Familie kommt. Umso unverständlicher ist, was in Deutschland derzeit in der Bildung passiert.

Vom Tellerwäscher zum Millionär – so geht noch immer der amerikanische Aufstiegstraum. In Deutschland könnte die Vision so aussehen: Ayse, geboren in einem Berliner Problemkiez, wird schon früh in der Kita gefördert. Sie schafft es aufs Gymnasium, studiert und steigt schließlich zur gut bezahlten Managerin oder Forscherin auf.

Die Jobs für Migrantenkinder wie Ayse gibt es. Unternehmen suchen schon jetzt händeringend nach Ayse und ihren Freundinnen. Der Nationale Bildungsbericht hat gerade erst wieder bestätigt, dass Deutschland dringend mehr hoch qualifizierte Arbeitskräfte braucht. Doch für viele Ayses – und auch Kevins, also die Kinder aus der deutschen Unterschicht – ist die Vision ein Albtraum. Anstatt aufzuholen, bleiben Kinder aus bildungsfernen Schichten immer mehr zurück. Ein Drittel der Jugendlichen sind in ihren Bildungschancen beeinträchtigt, weil ihre Eltern arm sind, arbeitslos, schlecht gebildet oder alles drei. Von den türkischstämmigen Frauen in Deutschland hat beinahe jede zweite keinen Berufsabschluss. Ein Skandal für eines des reichsten Länder der industrialisierten Welt.

Wer ist schuld? Die Eltern? Gerne wird beklagt, ihnen fehle heute der Wille zum Aufstieg. Früher hätten Eltern aus der Unterschicht alles darangesetzt, dass es ihren Kinder einmal besser geht als ihnen. Heute blieben sich Kinder in Problemfamilien hingegen selbst überlassen. Sicher muss alles getan werden, diese Eltern zum Wohl ihrer Kinder zu aktivieren. Doch aussichtsreicher ist, bei den Kindern selbst anzusetzen, sie unabhängig vom Elternhaus zu fördern. Es ist im Interesse Deutschlands, die Arbeitskräfte von morgen frühzeitig an die Hand zu nehmen, anstatt missglückte Bildungskarrieren mühselig und kostspielig in den Sozialsystemen aufzufangen. Wer kleine Kinder kennt, weiß, wie empfänglich sie für Zuspruch sind. Jedes Kind strahlt, wenn ihm ein Buch vorgelesen wird – egal ob es aus einem Professorenhaushalt oder einer Hartz-IV-Familie kommt.

Umso unverständlicher ist, was in Deutschland derzeit in der Bildung passiert. Die Bundesregierung verkündet hehre Ziele. Zwölf Milliarden Euro will sie in dieser Legislaturperiode mehr für Bildung ausgeben. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Die Länder torpedieren die Bundespläne. Bestes Beispiel ist die Bafög-Erhöhung, die der Bundestag gestern beschlossen hat. Den Ministerpräsidenten ist das zu teuer, sie drohen, die höheren Sätze im Bundesrat zu kippen. Mehrere Länder kürzen schon bei Kitas, Schulen und Hochschulen. Und auch die zwölf Milliarden Euro des Bundes sind ein Klacks, wenn man bedenkt, wofür noch Geld selbst in diesen schwierigen finanziellen Zeiten da ist – nicht nur für Hoteliers oder Rennpferde, für die ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz gilt.

Dass viel Geld viel helfen kann, zeigt sich bei der deutschen Fußballnationalmannschaft. Spieler wie Mesut Özil und Sami Khedira sind in Deutschland geboren, haben aber mindestens einen ausländischen Elternteil – Integration, wie sie sein sollte. Die Özils und Khediras profitieren von einer aufwendigen Aufholaktion, die sich der Deutsche Fußball-Bund Ende der neunziger Jahre verschrieb. Der Verband investierte Millionen in seinen Nachwuchs, mit dem Ziel, unerkannte Talente zu finden und den Fußball in Deutschland zu modernisieren. Die Politik sollte sich ein Beispiel daran nehmen, unabhängig davon, wie weit die jungen Spieler bei dieser WM wirklich kommen. Der deutsche Traum vom Aufstieg durch Bildung ist möglich.

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