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Warten auf Käufer: Die US-Zeitungen haben zum Teil noch größere Probleme als die deutschen.

© dpa

Digitale Revolution der Print-Medien: Das Blatt wendet sich

Die USA zeigen: Der Journalismus verändert sich rasant. Das Prinzip der „Wundertüte“, nach dem Zeitungen und Zeitschriften arbeiten, hat womöglich ausgedient.

Im Foyer der "Washington Post" erinnert eine Messingtafel an den alten Eigentümer: „In diesem Aufzug hat Don Graham die Angestellten der ,Post‘ 806 132 Mal namentlich begrüßt – von 1972 bis 2013“, steht da. Die Familie Graham und die „Post“, das war lange eins und stand für etwas, auf das alle Mitarbeiter stolz waren. "Watergate" ist weltweit ein Begriff für die Rolle, die Medien in einer Demokratie spielen können: Als die Reporter Bob Woodward und Carl Bernstein durch ihre Recherchen und die Verlegerfamilie Graham durch ihre Standhaftigkeit gegenüber allen Einschüchterungsversuchen Richard Nixon zum Rücktritt zwangen.

So stand die Belegschaft „unter Schock“, erzählt einer, der dabei war, als Don Graham die „Post“ im vergangenen August verkaufte. Und nicht an irgendwen: an Jeff Bezos – Netzmilliardär, Gründer des Internetversandhandels Amazon und personifizierter Verlagsschreck. Klassischer Journalismus, der sich selbstbewusst als vierte Gewalt im Staat versteht, traf im Sommer 2013 mit dem Amazon-Chef auf den Godfather des Internet. Zwei Dinge, von denen immer noch viele – auch Journalisten – sagen, sie schlössen sich aus.

Die wichtigste Einnahmequelle bricht weg

Tatsächlich verändert das Internet seit einem Vierteljahrhundert nicht nur, wie wir Informationen aufnehmen und verbreiten, sondern existenziell die Voraussetzungen, wie viele dieser Informationen entstehen. Die Werbeanzeigen – wichtigste Einnahmequelle der Medienindustrie – brechen weg. Vor allem, weil Google oder Facebook vielen Firmen als Werbeträger attraktiver erscheinen. Weil die Anzeigen dort potenziell viel mehr Menschen erreichen und gezielt auf den einzelnen abgestimmt sind. Nach Wohnort, anderen bevorzugten Seiten, Suchabfragen und mehr.

Der Einbruch verläuft rasant: In den USA sind die Anzeigenerlöse von 50 Milliarden Dollar im Jahr 2005 in sieben Jahren auf rund 25 Milliarden Dollar gefallen. Was heißt das, wenn eine Branche, die zu einer funktionierenden Demokratie gehört, finanziell in der Überlebenskrise steckt?

Eine Reise durch Amerika zeigt, dass die Medienlandschaft zwar nicht dieselbe ist wie bei uns. Ohne einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk, mit Medien, die sich oft auf das politische Weltbild einer bestimmten Klientel konzentrieren, während die andere Seite kaum vorkomm t. Doch das Problem mit dem Geschäftsmodell ist in Deutschland dasselbe. Und hier wie dort drängen Facebook und Twitter, immer mehr Smartphones und Tablets in die gleiche Richtung: weg von Print, rein ins Netz und hin zu vielen, verschiedenen Informationsquellen. Wer daheim den Tagesspiegel liest, abonniert nicht die Berliner Zeitung – und umgekehrt. Ist aber ein auf Facebook geposteter Artikel interessant, wird er gelesen, die Quelle ist meist zweitrangig. Ob ihn ein klassischer Journalist verfasst hat, oft ebenso.

15.000 Journalisten weniger - in fünf Jahren

Bei der „Post“ kann sich die Belegschaft mit dem solventen Neueigentümer deshalb sogar glücklich schätzen. Auch, weil bereits unter den Grahams die Wandlung hin zu Online vollzogen wurde. Die Redakteure für die Homepage und sozialen Netzwerke besetzen heute den „News- Hub“, der wie eine Raumschiffbrücke im Mittelpunkt der riesigen Zentralredaktion thront. Noch vor ein paar Jahren saßen sie kilometerweit entfernt in einem anderen Haus. Da er hier niemanden mehr überzeugen musste, lässt Bezos die Redaktion ihren Weg erst einmal weitergehen und hat auch den ganz straffen Sparkurs gestoppt. Weil sich sonst die Zeitung – gedruckt wie online – in die Bedeutungslosigkeit sparen würde.

Andernorts aber passiert genau das. Gab es in den USA 2006 rund 55.000 festangestellte Journalisten, waren es 2011 noch rund 40.000. Mit Folgen, nicht nur für die arbeitslos gewordenen Kollegen. Niemand weiß, wie viele Skandale nicht aufgedeckt wurden, weil sie nicht untersucht wurden. Weniger Journalisten recherchieren weniger. Aber verschwindet eine Zeitung, verändert sich etwas in der Gesellschaft. Davon sind jedenfalls Medienwissenschaftler wie Nikki Usher von der George Washington oder Lee Shaker von der Portland State University überzeugt.

Usher hat selbst unter anderem für die „Los Angeles Times“ gearbeitet, jetzt erläutert sie mit ernstem Blick durch schwarz umrandete Brillengläser den Zusammenhang von Wissen und Wählen: Kennen die Menschen die wichtigen Themen in ihrer Gemeinde und die Ziele der Kandidaten nicht, gehen weniger zur Wahl. In Denver und Seattle sank zwischen 2008 und 2009 das bürgerschaftliche Engagement deutlich stärker als in anderen vergleichbaren Städten. Lee Shaker hat den Zusammenhang mit dem Einstellen der „Rocky Mountain News“ und des „Seattle Post-Intelligencer“ untersucht und als ausschlaggebend erkannt. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie des „Journal of Media Economics“, die sich mit dem Ende der „Cincinnati Post“ 2007 und der sinkenden Wahlbeteiligung beschäftigt hat.

Abonnenten in Detroit demonstrierten für ihre Zeitung

Klagen hilft da nicht weiter. In Detroit zum Beispiel, das gefühlt jeder Amerikaner außerhalb der Stadt für eine bankrotte Ruine hält, weiß man dank General Motors, Ford und Chrysler, wie sich Niedergang anfühlt. Und sieht zugleich Chancen, wo andere aufgeben würden, findet neue Wege, weiterzumachen. So kämpft die „Detroit News“ unter anderem mit einem harten Sparmodell. Weil bei der Abozeitung Druck und Ausliefern des Blattes zwei große Posten sind, liegt die „Detroit News“ jetzt nur noch an drei Tagen vor der Haustür. Den Rest der Woche erscheint sie dünner und nur am Kiosk. Da zeigte sich, was die Zeitung neben Problemen noch hat: sehr treue Leser. Die demonstrierten für ihr Blatt sogar vor dem Verlagsgebäude, und als das nichts half, zogen sie einen Schwarzmarkt auf. Jetzt zahlen Abonnenten ihrem Zeitungsladen vor Ort extra Geld, um die „News“ weiter täglich nach Hause zu bekommen.

Zeitung und Leser.
Zeitung und Leser.

© Karikatur: Klaus Stuttmann

Es gibt sie, die Menschen, die gerne Tageszeitung lesen. Die das Papier in der Hand halten wollen und keine Verlinkungen im Text oder Videos zu verwandten Themen wünschen, sondern sich ganz auf einen Artikel konzentrieren. Die einen Text nicht im Strom der Neuigkeiten und Nachrichten verlieren wollen, sondern ihn sich beiseite legen, um sie am Wochenende in Ruhe zu lesen.

Und sicher gibt es noch lange Leser, die sich in eine Zeitung oder ein Magazin vertiefen wollen. Aber die Zahl derer, die das täglich tun, sinkt wohl unumkehrbar. Deshalb denkt man jetzt bei der „Detroit News“ in Themen, nicht in Online oder Print. Geschichten werden auf die Homepage gestellt und weiter bearbeitet, was den Weg in die Zeitung nimmt, entscheidet sich erst spät. In dem 97 Jahre alten, mit dunklem Holz getäfelten Redaktionssaal, in dem vor nicht allzu langer Zeit noch Schreibmaschinen klackerten, beschäftigt sich heute ein Redakteur nur mit dem Facebook-Account der Zeitung, ein anderer damit, welche Tweets Leser auf die Seite ziehen könnten.

Der Prozess ist schmerzhaft und international: Überall werfen Redaktionen Arbeitsstrukturen über den Haufen. Eine Geschichte endet nicht mit dem Andruck, das Urteil des Lesers droht umgehend: In Echtzeit zeigt sich, was gelesen wird. Das kann ernüchternd sein, wenn das Thema, für das man sich so einsetzt, wenige interessiert.

Die gute Nachricht: Es gibt eine Zukunft

Warten auf Käufer: Die US-Zeitungen haben zum Teil noch größere Probleme als die deutschen.
Warten auf Käufer: Die US-Zeitungen haben zum Teil noch größere Probleme als die deutschen.

© dpa

Doch selbst wenn, was sehr böse Zungen behaupten, manche Zeitung nur Anzeigenträger mit Text drumherum sein sollte – was machen diejenigen, die weiter unabhängig informieren möchten? Die gute Nachricht: Es gibt eine Zukunft. Spezialisierung und Nische sind zwei der neuen Zauberwörter. Was in Deutschland ein lokaler Blog wie die "Tegernseer Stimme" erreicht hat, schaffen in Washington Websites wie "Talking Points Memo" national: Leser an sich ziehen, die ein Interesse an klar umgrenzten Themen haben und so Geld verdienen.

"Talking Points Memo" begann als Blog von Josh Marshall während der Neuauszählung der Stimmen in Florida für die Präsidentenwahl 2000. Heute beschäftigt die Seite 25 Menschen. „Wir sind kein Insiderblog für Spin-Doktoren“, erläutert Washington-Korrespondent David Kurtz beim Lunch in der Nähe des Weißen Hauses das Konzept: "Wir schreiben für Amerikaner, die sich für Bundespolitik interessieren." Das geht auf. Die Seite hat so viele Leser, dass sich "TPM" rein durch Werbung finanziert. Reich werden die Redakteure nicht, dafür sind sie mit Leidenschaft dabei.

Aber Spezialisierung funktioniert auch groß. "Crain’s Detroit Business" gehört zu "Crain Communications", das Medienhaus berichtet über Wirtschafts-, Technik-, Verbraucherthemen und hat rund 850 Angestellte. "Crain’s Detroit Business" erscheint einmal die Woche gedruckt und als aktuelle Onlineseite mit mehreren kostenlosen Newslettern. Vor allem "Crain’s Michigan Morning" rechnet sich, in dem eigene und fremde Wirtschaftsnachrichten verschickt werden, erläutert die „Strategiemanagerin digitale Inhalte“ Nancy Hanus: Weil viele Unternehmen darin werben wollten.

"Der Journalismus hat sich erledigt"

Deren Logik ist simpel. Wer den Newsletter abonniert, ist wirtschaftlich interessiert und hat Geld. Zugleich vertraut er dem Umfeld, in dem er die Anzeige sieht – sonst hätte er den Newsletter nicht abonniert –, und überträgt das auf die Werbung. Die Artikel auf der Website dagegen sind nicht endlos frei zugänglich. Die Bezahlschranke fällt stufenweise und endgültig nach 15 aufgerufenen Artikeln im Monat. Dabei zeigt sich, die Nachrichten sind es den Lesern wert.

Zum Glück. Es gibt nicht unendlich viele medienaffine Internetmilliardäre wie Jeff Bezos oder Ebay-Gründer Pierre Omidyar, der zusammen mit Glenn Greenwald – einem der Journalisten, denen sich Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden anvertraut hat – das digitale Magazin "The Intercept" gegründet hat. Doch selbst, wenn Informationen immer mehr über Plattformen wie Facebook, Buzzfeed und Reddit verbreitet werden, bleiben zwei Fragen offen: Woher kommt ursprünglich die Information, und wer bezahlt sie?

Für Marc Cooper ist die Antwort auf Letzteres klar: Niemand. „Journalismus“, sagt er, und grinst wie ein alternder Faun unterm stoppeligen Bart, „Journalismus, wie wir in heute kennen, hat sich erledigt.“ Cooper gefällt sich als Provokateur, immerhin unterrichtet der Professor selbst an einer der renommiertesten Journalistenschulen überhaupt: der Annenberg School for Communication and Journalism in Los Angeles. Während er den Stab über dem Berufsstand bricht, laufen vor dem Konferenzraum hunderte hoffnungsvolle Jungjournalisten über den Campus.

Objektivität - bei finanzieller Abhängigkeit unmöglich

Andererseits ist sein Argument entwaffnend. Zwar ermöglicht es seit dem 15. Jahrhundert die Druckerpresse, im großen Stil Texte unter die Menschen zu bringen. Und hat so der Gesellschaft Aufklärung, Demokratie und Debatten über den Radius der Gemeindeversammlung hinaus gebracht. Trotzdem, so Cooper, habe erst mit dem Smartphone heute jeder „das uneingeschränkte Recht zu veröffentlichen“. Wenn aber jeder über alles schreiben und potenziell gelesen werden kann, warum sollten manche dafür Geld bekommen – während es so viele andere kostenlos tun?

Aber angenommen, es gäbe keine unabhängigen Institutionen mehr, die versuchen, objektiv zu informieren, wer tut es dann? Der bloggende Politikprofessor über Außenpolitik, der Pharmareferent über Vorteile der neuesten Krebstherapie und der Senatssprecher über Klaus Wowereits Erfolge auf der BER-Baustelle? Ja? Nein?!

Objektivität ist schwer erreichbar, bei finanzieller Abhängigkeit unmöglich. Wie glaubwürdig wäre ein Journalist, der über Siemens berichtet und zugleich dort an Projekten mitarbeitet? Der – auch – schreibende Experte aber ist wichtiger Teil des Cooper’schen Szenarios.

Die Autorin Ruth Ciesinger.
Die Autorin Ruth Ciesinger.

© Thilo Rückeis

Sogar das Grundgesetz würdigt die öffentliche Aufgabe der Medien. Damit sie diese weiter ausüben können, müssen sie herausfinden: Was will der Konsument – und wie viel davon? Können nur Nischenprodukte überleben, ist das Prinzip „Wundertüte“, nach dem viele Zeitungen und Websites funktionieren, gewollt? Oder löst das Facebook ab? Das Zugehörigkeitsgefühl der Leser gerade bei einer Lokalzeitung ins Digitale zu transportieren, ist eine weitere Herausforderung.

Journalismus weniger als Selbstzweck begreifen

Interessant ist, wie „Süddeutsche Zeitung“ und mehrere ARD-Anstalten zuletzt zusammen recherchiert haben. Trotzdem, ein staatlich finanzierter Journalismus ist nicht die Lösung. Allerdings hat Steve Jobs gerade mal vor vier Jahren das erste iPad vorgestellt. Das zeigt: Viele Veränderungen sind gar nicht absehbar, vieles ist möglich. Auch, auf hohe Standards zu setzen und Journalismus weniger als Selbstzweck, sondern als Dienstleistung für eine Öffentlichkeit zu begreifen. Vielleicht wird es weniger Medienhäuser geben. Aber Qualität wird sich abheben. Sodass Leser bereit sind, für bestimmte Geschichten und Informationen zu bezahlen, oder der seriöse Markenname für Werbekunden attraktiv ist. Möglicherweise sind das zwei Beine, auf denen man stehen kann.

Was hat nun Jeff Bezos getrieben, als er vor acht Monaten die „Washington Post“ erworben hat? Er selbst hat gesagt, er habe lange über den Kauf einer Zeitung nachgedacht. Und dann: „Wäre ich davon überzeugt gewesen, dass die ,Post‘ keine Chance hätte, ich hätte sie nicht gekauft.“

Dieser Text ist mit Hilfe eines Rechercheprogramms der amerikanischen Botschaft in Berlin zustande gekommen.

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