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Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Stammzellenforschung hat weitreichende Konsequenzen.

© dapd

Kein Patent auf Stammzellen-Forschung: Ein Urteil gegen das Leben

Öko-Hardliner und Konservative feiern das Urteil des Europäischen Gerichtshofs als einen Erfolg. Doch der Richterspruch aus Luxemburg ist ein schwerer Schlag nicht nur für die medizinische Forschung in Europa, sondern auch für schwer kranke Patienten.

Kein Patent auf Leben! Die Aktivisten von Greenpeace erwecken gern den Eindruck, habgierige Biotechnik-Unternehmen stünden kurz davor, Menschen, Tiere und Pflanzen zu ihrem geistigen Eigentum zu erklären und dann Milliardengewinne aus den Patenten herauszupressen. Aber zum Glück gibt’s ja den Europäischen Gerichtshof. Der hat gestern entschieden, dass der Mensch „in allen Phasen seiner Entwicklung vor kommerzieller Verwertung geschützt werden“ müsse, wie Greenpeace feststellt. Dies gelte „auch für Embryonen in der Petrischale“.

Kein Zweifel, ein guter Tag für Greenpeace. Die Organisation hatte ein Patent des Bonner Stammzellforschers Oliver Brüstle angefochten und nun vom Europäischen Gerichtshof recht bekommen. Aber so einfach, wie es die selbst ernannten Lebensschützer darstellen, ist die Sache nicht. Der Luxemburger Richterspruch ist in Wahrheit kein Urteil für, sondern gegen das Leben. Er ist ein schwerer Schlag nicht nur für die medizinische Forschung in Europa, sondern auch für schwer kranke Patienten. Viele von ihnen setzen ihre Hoffnung auf Therapien aus Stammzellen.

Das Urteil untersagt die Patentierbarkeit von Verfahren, die bei menschlichen embryonalen Stammzellen angewandt werden. Die Euro-Richter folgten damit der fundamentalistischen Linie des französischen Generalanwalts Yves Bot. Dem passt die ganze Stammzellforschung nicht. Schon im März hatte der Sarkozy- Vertraute dem Gerichtshof empfohlen, das Brüstle-Patent für nichtig zu erklären. In der Ablehnung der biomedizinischen Forschung treffen sich der konservative Franzose Bot und die Öko-Hardliner von Greenpeace.

Oliver Brüstle forscht völlig legal an importierten embryonalen Stammzellen. Er hat ein Verfahren entwickelt, mit dem für Gehirn und Rückenmark Ersatzzellen gewonnen werden können. Diese Zellen sollen eines Tages Patienten mit Nervenleiden helfen. Es geht also weder um Embryonen noch um ein Patent auf Leben, sondern um ein technisches Verfahren, das an Stammzellen eingesetzt wird. Man kann einwenden, dass die Forschung erleichtert wird, wenn Verfahren nicht patentierbar sind und keine Gebühren für ihre Nutzung anfallen.

Doch das hat schwere Nachteile. Patente bringen zwar Geld, müssen aber veröffentlicht werden. Ein Forscher, der keine Patentgebühren zu erwarten hat, wird seine Rezepturen eher für sich behalten. Mehr noch: Unternehmen werden nicht in Therapien investieren, die sie nicht durch Patente absichern können. Denn noch sind Stammzelltherapien à la Brüstle weit von der medizinischen Anwendung entfernt. Die Hürden sind hoch, die Kosten immens. Das Patentverbot wird Investoren abschrecken, mögliche Anwendungen der Stammzelltechnik werden noch mehr hinausgezögert. Deshalb ist das Urteil so verheerend.

Auch in der Stammzellforschung gibt es ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Hier die dynamischen Nationen wie Großbritannien, die Niederlande oder die skandinavischen Länder, in denen der Wissenschaft im Prinzip vertraut wird und liberale Gesetze den Fortschritt ermöglichen. Auf der anderen Seite Länder wie Deutschland, in denen das Misstrauen gegenüber dem medizinisch-industriellen Komplex dominiert. Hierzulande werden viele das Luxemburger Verdikt mit Genugtuung aufnehmen. Anderswo wird man es als Ausdruck einer regulierungswütigen und fehlgeleiteten Eurokratie ansehen. Zu Recht.

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