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In Norddeutschland und Ostdeutschland wird schon seit Jahren mehr Strom mit Windrädern erzeugt, als dort verbraucht werden kann. Noch fehlt es an großen Stromleitungen, die die Energie in die Verbrauchszentren im Süden und Westen Deutschlands transportieren. Inzwischen diskutiert die Windbranche ernsthaft darüber, eigene Netze aufzubauen.

© dpa

Epochale Aufgabe Energiewende: Frau Merkel, übernehmen Sie!

Für das Gelingen der Energiewende sind Investitionen in dreistelliger Milliardenhöhe nötig. Doch ein Plan, der Sicherheit für diese schafft, ist nicht in Sicht. Gebraucht wird eine entschiedene Führung, die nur die Kanzlerin und ihr Amt leisten können.

Zuweilen erzeugt die Politik Widersprüche, die sich jeder Planung entziehen. Dafür liefert die anstehende Neuwahl in Nordrhein-Westfalen ein anschauliches Beispiel.

Da muss nun der CDU-Landesvorsitzende Norbert Röttgen mit aller Kraft in den Wahlkampf ziehen, obwohl doch die von ihm und seiner Kanzlerin verkündete „Revolution“ zum Umbau des Energiesystems weg von Atom- und Kohlekraft eigentlich seine ganze Aufmerksamkeit als Umweltminister erfordert. Zugleich trifft Wirtschaftsminister Philipp Rösler ein ähnliches Problem. Auch er trägt große Verantwortung für das Gelingen der Energiewende. Aber auch für ihn gerät die Wahl im größten Bundesland zur Existenzfrage. Verfehlt seine Partei den Einzug in den Landtag, wäre dies der Anfang vom Ende der Ära Rösler bei der FDP.

Absehbar ist daher, dass die beiden Kontrahenten die vielen Interessenkonflikte in der Energiepolitik gnadenlos für den Wahlkampf instrumentalisieren werden. Rösler wird sich als Verteidiger der „alten“ energieintensiven Industrien und der Verbraucher profilieren, indem er seiner Klientel Investitionen in den Ausbau des Leitungsnetzes oder die Effizienz beim Stromverbrauch erspart. Röttgen dagegen wird als Sachwalter der „neuen“ Energieunternehmen auftreten, deren Innovationen der Industrienation Deutschland die Zukunft weisen. Wichtige Richtungsentscheidungen, etwa zu der von vielen Akteuren der Strombranche geforderten Gründung einer nationalen Netzgesellschaft oder der Schaffung eines Marktes für Reservekapazitäten an wolkigen und windarmen Tagen, werden die beiden Wahlkämpfer so ganz sicher nicht zustande bringen.

Röttgens findige politische Gegner in und außerhalb seiner Partei leiten daraus nun die Forderung ab, dass er sein Ministeramt aufgeben müsse, weil der Wahlkampf ihm für die Aufgaben in der Energiepolitik keinen Raum lasse. Doch diese Debatte führt in die Irre. Denn wer immer das Amt erben würde, stünde doch vor demselben Problem: Die ohnehin nicht mehr aufhaltbare Umstellung des Stromsystems auf einen stetig wachsenden Anteil von erneuerbaren Energien erzwingt in den kommenden zwei Dekaden Investitionen in dreistelliger Milliardenhöhe für den Bau von Leitungen, Speicher- und Reservekraftwerken sowie Effizienztechnik aller Art. Daraus erwächst ein eskalierender Konflikt über die Verteilung dieser Kosten zwischen Stromerzeugern und Netzbetreibern sowie privaten und industriellen Verbrauchern. An dieser energiepolitischen Verteilungsfrage haben sich die beiden Minister aber auch bisher schon aufgerieben, weil ihre Häuser seit je den widerstrebenden Interessen verbunden sind. Ein Plan, der Sicherheit für die nötigen Investitionen schafft, ist darum weit und breit nicht in Sicht.

Dieses Problem kann aber weder ein neuer Minister noch ein neues Ministerium lösen. Gebraucht wird eine entschiedene Führung, die nur die Kanzlerin und ihr Amt leisten können. Landesweit treiben längst Tausende von Fachleuten gemeinsam mit engagierten Bürgern und Kommunalpolitikern die Energiewende auf eigene Faust voran. Ihre Arbeit reicht von „virtuellen“ Kraftwerken, die mittels intelligenter Schaltung auch bei Windmangel sauberen Strom liefern, bis zu Stromnetzen in Bürgerhand, die eine neue Form der Altersvorsorge ermöglichen. Es wäre eine Schande, wenn diese großartige soziale und demokratische Energie verschwendet wäre, nur weil die Bundesregierung sich selbst blockiert. Frau Merkel, übernehmen Sie!

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