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Türkei: Erdogans Triumph mit Bremse

Erdogans AKP hat die Wahl in der Türkei klar gewonnen. Doch bei aller Anerkennung für die Wirtschaftspolitik der Regierung haben die Wähler dem Ministerpräsidenten die gewünschte Zweidrittel-Mehrheit im Parlament verweigert.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und seine religiös-konservative Regierungspartei AKP haben bei der Parlamentswahl am Sonntag abgeräumt. Nach inoffiziellen Ergebnissen fuhr die AKP ein Rekordergebnis von knapp über 50 Prozent ein. Ein solches Ergebnis ist in der Geschichte des Mehrparteiensystems in der Türkei seit 1946 bisher erst dreimal erreicht worden. Doch Erdogan scheiterte mit dem Plan, mit Hilfe einer Zweidrittel-Mehrheit der AKP im neuen Parlament im Alleingang eine neue Verfassung für die Türkei durchzusetzen. Das sollte dem erfolgsverwöhnten Premier zu denken geben.

Ein seit Jahren anhaltender Wirtschaftsaufschwung hat vielen Türken einen früher undenkbaren, wenn im Vergleich mit Westeuropa auch meist noch bescheidenen Wohlstand gebracht. Diese Leistung der AKP ist am Sonntag belohnt worden. Doch bei aller Anerkennung für die Wirtschaftspolitik der Regierung verweigerten die Wähler dem Ministerpräsidenten die gewünschte Zweidrittel-Mehrheit im Parlament.

Das zwingt die türkische Politik dazu, Kompromisse einzugehen, wenn sie es wirklich ernst meint mit dem Projekt einer neuen, demokratischen Verfassung. Bisher schleppt die Türkei als EU-Bewerberland und aufsteigende Regionalmacht mit Sitz in der G-20-Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländern eine von den Militärs nach dem letzten Putsch von 1980 verordnete Verfassung mit sich herum. Nicht nur Erdogan und die AKP, auch die meisten Türken innerhalb und außerhalb des Parlamentes, sind für eine Runderneuerung.

Die Frage ist nun, ob Erdogan seine Ankündigung wahr macht und den Kompromiss mit den anderen Parteien sucht. Das wird aus Sicht der AKP wesentlich schwieriger, als es ein Alleingang mit Zweidrittel-Mehrheit gewesen wäre. Doch das Land hat eine neue Verfassung verdient.

Zuletzt legte der Ministerpräsident, der nach eigenen Worten am Sonntag seine letzte Parlamentswahlschlacht geschlagen hat, eher autoritäre Züge an den Tag. Das spricht nicht unbedingt für Ausgleich, Annäherung und Konsens. Nun wird sich zeigen, ob der 57-jährige Erdogan als Politiker in die Geschichtsbücher eingehen wird, der seinem Land nach vielen demokratischen und wirtschaftlichen Reformen auch den krönenden Abschluss einer neuen Verfassung gab – oder als Mann, dem das am Ende dann doch nicht so wichtig war.

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