zum Hauptinhalt
Angela Merkel traf gestern den Frankreichs Staatspräsidenten.

© dapd

Europäisches Beben: Die Politik der kleinen Schritte ist der richtige Weg

Das Chaos in Griechenland überschattete das erste Treffen von Frankreichs neuem Staatspräsidenten und der Bundeskanzlerin. Den beiden stärksten Volkswirtschaften der Euro-Zone sollte klar sein: Wer am Fiskalpakt rüttelt, öffnet damit ein Höllentor.

Frankreich hat gewählt, François Hollande, der neue Staatspräsident, ist ernannt und traf in Berlin die Bundeskanzlerin. Das war keine Geste der Ergebenheit. Europa spricht nicht Deutsch. Aber die Begegnung mit Angela Merkel zeigt die Reverenz vor der historischen Allianz beider Staaten – einer Allianz, von deren Lebendigkeit die Entwicklung der Europäischen Union abhängt, bei allem Respekt vor Polen. Besser als durch die Ernennung des exzellenten Deutschlandkenners Jean-Marc Ayrault zum Premierminister hätte Hollande diese besondere Beziehung nicht würdigen können.

Bis Dienstagmittag sah es so aus, als würden vor allem die französischen Wünsche nach einer Ergänzung des europäischen Fiskalpaktes um eine Wachstumskomponente im Mittelpunkt der Gespräche stehen. Seit dem Abend wissen wir, dass sich der Fokus des Interesses nach Südosteuropa verlagert hat. Griechenland wird neu wählen. Dann werden wohl radikale Kräfte weiter gestärkt, die das angebliche Spardiktat und den ganzen EU-Fiskalpakt los werden wollen. Sollte François Hollande tatsächlich geglaubt haben, er könne den Fiskalpakt selbst noch einmal aufschnüren, ist nun klar, dass damit ein Höllentor geöffnet würde, denn die nächste Regierung in Athen würde es ermutigen, das gesamte Maßnahmenpaket abzuschütteln. Das würde die EU wie der Blitz treffen, der gestern in Hollandes Flugzeug schlug.

Turbulenzen in Athen: Die schwierigen Sondierungsgespräche in Griechenland in Bildern:

Die Lage Griechenlands ist dramatisch, und der Satz von Peer Steinbrück, wonach die Not die Demokratie frisst, gilt fort, auch wenn er sich aus der urdeutschen Schockerfahrung der von linken und rechten Extremisten zertrümmerten Weimarer Republik speist. Athen könnte tatsächlich zu einem zweiten Weimar werden, wenn nicht europäische Finanz- und Entwicklungsimpulse für neue Hoffnung sorgen. Nur dürfen die Gelder nicht wieder in den Konsum und in aberwitzige Beamtenbestallungsprogramme fließen. Genau dies, finanziert durch billige Euro-Kredite, hat ja das griechische Gemeinwesen ruiniert, und nicht etwa das deutsche Beharren auf Sanierung der Verhältnisse. Neue Mittel verlangen ohne die Ursachen des Verfalls zu bekämpfen, das ist wie waschen, ohne nass zu werden. Dann lieber ein Euro-Europa ohne Griechenland. Dass dies heute ohne eine Destabilisierung der ganzen EU vielleicht riskiert werden kann, liegt übrigens genau an jener Europapolitik der kleinen Schritte à la Merkel, wie sie Sigmar Gabriel gestern so nassforsch für gescheitert erklärt hatte.

Ob Staaten durch Infrastrukturprogramme überhaupt Wachstum schaffen können, bezweifeln nicht nur gefühlskalte Technokraten. Anregen können sie es allenfalls, Impulse geben. Das beste Beschäftigungsprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit – und so etwas bräuchten Frankreich, Griechenland, Portugal und Spanien wirklich – beginnt mit einer Reduzierung der Steuern und Sozialabgaben und einem Abbau staatlicher Bürokratie. Das alles aber könnte François Hollande zum Beispiel ganz ohne deutsche Hilfe schaffen. Unser großer Nachbar im Westen hätte genau dies bitter nötig.

Die sozial-liberale Kombination aus Stärkung der Europäischen Investitionsbank und Umsteuerung der Gelder der EU-Strukturfonds könnte, kombiniert mit der Finanztransaktionssteuer, tatsächlich Geld für Wachstumsimpulse frei machen. Die SPD-Idee freilich, den Vorrang des Ausgebens vor dem Sparen im Bundestag mit Blockadedrohungen ertrotzen zu können, blendet die dramatische Lage nach dem griechischen Chaos aus.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false