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Frankreich: Hollande ohne Agenda

Frankreichs Präsident traut sich nicht, seinen Landsleuten die Wahrheit zu sage: Er wird den Franzosen aber noch deutliche Einschnitte bei den Sozialleistungen zumuten müssen

Es kriselt bei unseren Nachbarn in Frankreich. Die Arbeitslosenquote liegt bei über zehn Prozent, die Wirtschaft wuchs im vergangenen Jahr nur um 1,7 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Arbeitslosenrate derzeit unter sieben Prozent, das Wachstum war im vergangenen Jahr fast doppelt so hoch wie auf der anderen Seite des Rheins. Angesichts dieser Zahlen stellt sich die Frage, wann Frankreichs oberster Steuermann François Hollande endlich das Ruder herumreißt, um die Wettbewerbsfähigkeit der „Grande Nation“ zu erhalten.

Es ist ausgerechnet ein Sozialist, der den Franzosen gerade drastisch vor Augen führt, dass sich in ihrem Land in der Wirtschaftspolitik grundlegend etwas ändern muss: Louis Gallois, der frühere Chef des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS. In seinem Gutachten fordert er eine milliardenschwere Entlastung der Unternehmen in Frankreich, die weiter Anteile auf den Exportmärkten zu verlieren drohen.

Eigentlich müsste Gallois mit seiner Forderung einer wirtschaftspolitischen „Schocktherapie“ bei seinen sozialistischen Parteifreunden, die seit fünf Monaten an der Macht sind, auf offene Ohren stoßen. Denn die Malaise der französischen Wirtschaft ist längst nicht mehr zu übersehen: Beim angeschlagenen Autokonzern PSA Peugeot Citroën gehen tausende Jobs verloren, und der Telekommunikationsriese Bouygues streicht ebenfalls massiv Stellen. Wie verzweifelt die Lage ist, machte Industrieminister Arnaud Montebourg jüngst deutlich, als er zum Kauf von Produkten „made in France“ aufrief.

Aber auch wenn Frankreichs Produkte auf den globalen Märkten häufig einen schweren Stand haben, denkt Frankreichs Staatschef Hollande derzeit offenbar nicht daran, hier grundsätzlich etwas zu ändern. Am Dienstag schickte er seinen Premierminister Jean-Marc Ayrault vor, der eine Entlastung der Unternehmen in Höhe von 20 Milliarden Euro in den kommenden drei Jahren ankündigte. Das hört sich zwar zunächst einmal nach einer deutlichen Intervention des Staates an – und doch bleibt der politische Vorstoß Hollandes nur Stückwerk. Denn zu einem Teil wird die Entlastung der Unternehmen durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer erkauft – von einer „Schocktherapie“ und etwa einer deutlichen Kürzung des Arbeitslosengeldes, wie sie in Deutschland ab 2003 im Zuge der „Agenda 2010“ Gesetz wurde, ist Hollandes Mini-Reform meilenweit entfernt.

Nun kann man Frankreichs Präsident zugute halten, dass auch Ex-Kanzler Gerhard Schröder über vier Jahre brauchte, bevor er sich zur Agenda-Politik durchrang. Zudem verfügt Deutschland über eine industrielle Basis – etwa bei der Metallverarbeitung –, die bislang als Krisenpuffer gewirkt hat. Es wäre also vermessen, den Nachbarn Lektionen in Sachen Wirtschaftspolitik erteilen zu wollen. Aber eines ist trotzdem sicher: Hollande wird den Franzosen noch deutliche Einschnitte bei den Sozialleistungen zumuten müssen, um sein Land aus der Krise zu führen.

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