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G-20-Gipfel in Seoul, Südkorea.

© dpa

Kontrapunkt: G 20: Der globale Kindergarten

Im Herbst 2008 implodierte das deregulierte Finanzsystem. Soeben noch in der gemeinsamen Weltenrettung vereint, spielen die G 20 nun Kindergarten. Harald Schumann erläutert im heutigen Kontrapunkt diese kindliche Trotzphase.

Genau zwei Jahre ist es her, da machten die Regierenden der reichen Industrieländer eine ganz neue Erfahrung. Drei Jahrzehnte lang hatten sie und ihre Vorgänger die globale Verflechtung ihrer Volkswirtschaften ausschließlich mit den Mitteln der Liberalisierung und Deregulierung vorangetrieben. So globalisierte sich die Wirtschaft, aber gleichzeitig blieb die Politik im nationalen Korsett gefangen. Und leicht, allzu leicht, ließen sich damit die jeweiligen nationalen Zampanos wunderbar gegeneinander ausspielen, sodass die Gemeinschaft der transnationalen Konzern- und Bankenfürsten am Ende stets bekam, was sie für ihre Geschäfte wünschte. Über weite Strecken verkam das Regieren zur bloßen Anpassung an vermeintliche globale Sachzwänge, die irgendwie immer darauf hinausliefen, dass die Kapitaleigner begünstigt und ihre Beschäftigten belastet wurden.

Doch dann, im Herbst 2008, implodierte das deregulierte Finanzsystem unter den Exzessen der Globalisierungsgewinner. Auf die ganz harte Tour mussten die Männer und Frauen an den staatlichen Schalthebeln damals lernen, dass sie ein „Monster“ (Horst Köhler) genährt hatten, das die Welt geradewegs in den „Abgrund“ (Angela Merkel) eines globalen wirtschaftlichen Zusammenbruchs zu stürzen drohte. Damit einher ging eine weitere bittere Erfahrung. Die Staatenlenker, wie mächtig und groß ihre Nationen auch sein mochten, waren allein nicht handlungsfähig. Nur die kollektive und koordinierte Aktion verhieß Rettung. Binnen weniger Monate versuchten sie deshalb nachzuholen, was sie zuvor jahrzehntelang versäumt hatten: Die Globalisierung der Politik. Und siehe da, die Operation gelang besser, als selbst kühne Optimisten erwartet hätten. Über Nacht vereinbarten die Notenbanken von Peking bis Frankfurt eine gemeinsame Geldpolitik. Bankenrettungspläne und Konjunkturprogramme wurden weltweit abgestimmt. Und die G20-Gruppe stieg zur globalen Koordinierungsinstanz auf. Erstmals hat die Welt seitdem eine halbwegs repräsentativ besetzte Plattform, auf der globalisierte Politik überhaupt stattfinden kann. Das erste global vereinbarte Reformprogramm zur Re-Regulierung umfasste dann auch gleich schon mal 90 Punkte.

Aber nun, kaum dass die Katastrophe vorerst abgewendet ist, scheinen die harten Lektionen schon wieder vergessen. Nicht nur fallen die versprochenen Reformen zur Bändigung der Finanzindustrie arg verwässert aus, weil den Regierungen plötzlich wieder das alte Spiel um die Förderung „ihrer“ nationalen Finanzplätze und Banken wichtiger ist als die Stabilität des ganzen Systems. Zugleich stürzen sich die Akteure in einen gefährlich destruktiven Konflikt um Wechselkurse und Exportanteile, als sei die global verflochtene Ökonomie nicht mehr als der Wettbewerb zwischen nationalen Volkswirtschaften. Da flutet die US-Notenbank mal eben die Kapitalmärkte mit elektronisch geschöpften Dollars in dreistelliger Milliardenhöhe und stiftet damit Not in den Schwellenländern, deren Währungen unter dem Ansturm renditesuchender Anleger schlagartig aufwerten und damit dringend benötigten Exporterlöse abwürgen. Da halten die chinesischen Wirtschaftslenker rücksichtslos an der Dollarbindung ihrer Währung fest, obwohl sie damit immer größerer Devisenreserven großteils in Dollar anhäufen und mit deren Rückschleusung auf den US-Kapitalmarkt genau das befördern, was sie doch eigentlich bekämpfen wollen, die US-Schuldenwirtschaft und die Abwertung des Dollar. Da kauft die japanische Notenbank mal eben zig Milliarden Dollar, um den Yen billig zu machen. Und die deutsche Kanzlerin weist trotzig alle Kritik am hohen deutschen Handelsüberschuss zurück, weil dieser ja nur Ausdruck der deutschen „Wettbewerbsfähigkeit“ sei, gerade so, als ob es keinen Zusammenhang gäbe zwischen den Überschüssen der einen und den Defiziten der anderen.

Nicht eine dieser jeweils mit dem nationalen Interesse gerechtfertigten Wirtschaftstrategien ergibt auf Dauer einen Sinn. Die Amerikaner riskieren mit der Inflationierung ihrer Währung früher oder später eine Massenflucht aus dem Dollar, die sie endgültig in eine lange Depression stürzen würde. China verpulvert seine im Inland dringend für die Alters- und Gesundheitsversorgung benötigten Milliardenerträge für die kontraproduktive Anlage in nahezu renditefreien US-Staatsanleihen und riskiert mit der Aufblähung der inländischen Geldmenge für den Dollarkauf hohe Inflationsraten. Die Japaner perpetuieren ihre Abhängigkeit von der Exportwirtschaft, die keines ihrer wirtschaftlichen Probleme löst und die Deutschen betreiben mit ihrem Importdefizit in Höhe von vollen sechs Prozent der Wirtschaftsleistung die Eskalation der Eurokrise. Denn nur wenn die Deutschen vermehrt Waren (oder auch touristische Dienstleistungen) aus den Defizitstaaten kaufen, können diese das Geld verdienen, das sie den deutschen Banken und ihren Kunden schulden. Gelingt das nicht, bleibt nur der erneute Freikauf der Gläubiger mit Steuergeld, wie er in Griechenland ja schon läuft.

Vor dem Hintergrund der ökonomischen Realitäten mutet der von allen Beteiligten in voller Absicht angezettelte „Währungskrieg“ darum geradezu kindisch an. Soeben noch in der gemeinsamen Weltenrettung vereint, spielen sie nun Kindergarten, in dem ein jeder lieber trotzig seine Position verteidigt, anstatt Argumente zu wägen und die langfristigen Folgen zu bedenken. Doch so unsinnig das zunächst erscheint, so wahrscheinlich ist auch, dass es sich wie bei der kindlichen Trotzphase nur um ein Durchgangsstadium handelt. Denn im Grund ist längst klar, dass eher früher als später eine neue globale Währungsordnung gefunden werden muss. Die Fortführung des bisherigen regellosen Nichtsystems auf Basis eines allein nach den Anforderungen US-Binnenmarkts geführten Dollars würde unweigerlich in so schwere Handelskonflikte führen, dass letztlich alle dabei verlieren würden – die Weltökonomie stünde dann schon wieder am Abgrund.

Tatsächlich ist die globale Debatte über die Gestaltung eine neuen Systems ja auch längst schon in Gang. So schlug Chinas Notenbankchef Zhou Xiaochuan vor, eine supranationale Währung zu schaffen, die auf einem Korb der wichtigsten Währungen zu stabilen Wechselkursen aufbaut, die nur im Rahmen der unterschiedlichen Inflationsraten angepasst werden, so wie es einst auch der britische Ökonom John Maynard Keynes für die Nachkriegszeit vorgeschlagen hatte. Frankreichs Staatspräsident Nicholas Sarkozy brachte kürzlich das Modell der fest vereinbarten Wechselkurszielzonen erneut aufs Tapet, die von allen Notenbanken gemeinsam an den Märkten durchgesetzt werden könnten. Weltbank-Präsident Robert Zoellick wiederum redete einer erneuten Bindung der Währungen an den Goldwert das Wort, um damit Stabilität zu stiften.

Doch ganz gleich, auf welche Ordnung sich die Staaten am Ende einigen werden, eines haben alle denkbaren Konzepte gemeinsam: Die unbeschränkte nationale Souveränität mit der eigenen Währung machen zu können, was man für richtig hält, diese Freiheit muss zu Gunsten der gemeinsamen Stabilität für alle ein Ende haben. Und eben das mag bisher noch so gar nicht zum Selbstverständnis der meisten G20-Mitglieder passen. Aber die Erkenntnis wird mit Sicherheit reifen, je größer die Konflikte werden. Schließlich ist die globalisierte Politik der wirtschaftlichen Koordination eine ziemlich neue Disziplin, die alle Akteure erst lernen müssen. Da muss die Kindergarten-Phase samt Prügelei und blauen Flecken wohl noch mal sein.

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