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Särge auf dem Flughafen von Lampedusa.

© AFP

Gastbeitrag zur Flüchtlingspolitik: Ohne Hoffnung nach der Rettung

Bisher gibt die EU-Kommission den EU-Mittelmeeranrainern mehr Geld für mehr Abschottung, mehr Überwachungssysteme, statt für bessere Flüchtlingsrettung und ein faires und zügiges Asylverfahren. Daran muss die neue Bundesregierung etwas ändern, meint Katrin Göring-Eckardt.

Lampedusa. Die Mittelmeerinsel ist mittlerweile ein Inbegriff für Flüchtlingstragödien, aber auch für unhaltbare Zustände in dem jetzt geräumten Flüchtlingscamp. Politiker in ganz Europa mahnen humanere und würdevollere Aufnahmebedingungen an, doch das allein löst das Problem nicht.

Vor zwei Wochen war ich zusammen mit meiner Fraktionskollegin Luise Amtsberg auf Sizilien, in Mineo, Europas derzeit größtem Flüchtlingscamp. Uns trieb die Frage um: Können wir – als Bundesrepublik, als EU – unser Versprechen halten, endlich Lehren aus den Flüchtlingstragödien zu ziehen? Wie sähe eine bessere, humanere europäische Flüchtlingspolitik aus? Wer kann sie gestalten? Wir führten Gespräche mit italienischen Politikern, mit der Küstenwache, mit Flüchtlingen. Wir waren auf einiges vorbereitet. Aber darauf nicht: Kaum waren wir aus Mineo abgereist, erreichte uns diese Nachricht: Ein 21 Jahre alter Mann aus Eritrea, Mulue Ghirmay, hatte sich in Mineo das Leben genommen.

Die Flucht vor einem brutalen Militärregime hatte er überlebt, die Sahara und Libyen durchquert, die gefährliche Bootsfahrt über das Mittelmeer endlich hinter sich – um sich dann acht Monate nach seiner geglückten Flucht im Flüchtlingslager umzubringen. Ich habe Mulue Ghirmay nicht kennengelernt. Nur von seinem letzten Aufenthaltsort konnte ich mir ein Bild machen. Ich habe mit anderen jungen Männern in Mineo gesprochen, sie erzählten mir von ihrer Flucht, ihrer Frustration, ihrer Perspektivlosigkeit, ihrer Angst vor Abschiebung. Sie hatten überlebt, aber jetzt steckten sie fest – ohne Aussicht darauf, dass sich daran irgendwann etwas ändert.

Doch das Problem ist nicht nicht Mineo, auch nicht Italien. Lampedusa, Sizilien, Malta, Griechenland, Südspanien – das sind EU-Außengrenzen und damit in unserer gemeinsamen europäischen Verantwortung. Italien allein ist überfordert. In den Tagen, die wir vor Ort waren, kamen – trotz der kühleren Jahreszeit und deshalb unüblich – mehr als 1200 Flüchtlinge auf Booten nach Lampedusa. Auch das Camp in Mineo füllt sich täglich schneller, als es sich leert.

Das muss nicht zwangsläufig so sein. Selbst innerhalb von Italien kann besser umverteilt werden, und damit wurde – so sicherten uns die italienischen Behörden zu – auch endlich begonnen. Weitaus wichtiger ist meiner Ansicht nach aber ein Ende des sogenannten Dublin-Systems – das Flüchtlinge von Deutschland fernhält, weil sie in die EU-Mitgliedstaaten zurückgeschoben werden dürfen, in denen sie erstmals in die EU eingereist sind. Dieses System ist ineffektiv und unsolidarisch.

Wir müssen über neue Formen gemeinsamer Verantwortung verhandeln. Und wir müssen die richtigen Prioritäten setzen: Bisher gibt die EU-Kommission den EU- Mittelmeeranrainern mehr Geld für mehr Abschottung, mehr Überwachungssysteme, statt für bessere Flüchtlingsrettung und ein faires und zügiges Asylverfahren. Hier sollte, hier muss die neue Bundesregierung Vorstöße machen: Wäre es nicht besser, Flüchtlinge hätten frühzeitig eine Chance auf legale Einreisemöglichkeiten – um sicher nach Europa zu gelangen? Und könnten sich die europäischen Innenminister nicht von vornherein auf einen angemessenen Verteilungsschlüssel festlegen? Ich bin sicher: Dann hätten wir ein paar Probleme weniger. Doch bisher blockiert die Bundesregierung noch jede EU-Initiative zur legalen Einwanderung und zur faireren Lastenverteilung.

Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen.
Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen.

© Thilo Rückeis

Mussie Zerai, ein Priester aus Eritrea, der längere Zeit in Italien lebte und die Zustände und Atmosphäre in den Flüchtlingslagern kennt, hat einen Artikel über Mulue Ghirmay geschrieben. Das europäische Flüchtlingssystem habe den 21-Jährigen zermürbt, ihm seine Würde genommen, seine Hoffnung, seine Zukunft. Italien übernimmt im nächsten Sommer die Präsidentschaft der EU. Das ist eine große Chance für eine Revision der Dublin-Gesetze. Wir Europäer sollten sie nutzen.

Die Autorin ist Fraktionschefin der Grünen.

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