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Marianne Birthler

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Gastkommentar: Zu viel Verständnis für Opportunisten

Jan-Hendrik Olbertz sollte sich nicht einfach durchmogeln. Allzu viel Verständnis für Anpassung und Opportunismus führt leicht dazu, dass diejenigen, die der Wahrheit die Ehre gaben und dafür mit dem Verzicht auf beruflichen Erfolg und Karriere bezahlten oder verfolgt wurden, heute zu Narren gemacht werden.

Dürfen wir vom Präsidenten einer Universität mehr erwarten, als dass er die Universität exzellent verwaltet? Zweimal ja: weil seine herausragende Stellung ihn zum Vorbild macht. Und weil er viel Einfluss darauf hat, welcher Geist die von ihm geleitete Universität prägt. Es ist durchaus von öffentlichem Interesse, welche Werte jemanden leiten, der an der Spitze einer Universität steht. Steht er als Person für Integrität, für intellektuelle Redlichkeit und die Freiheit, unbequem und gegen den Strich zu denken? Und ist er ein verlässlicher Anwalt der Freiheit von Wissenschaft und Lehre?

Die Humboldt-Universität könnte so jemanden gut gebrauchen. Nehmen wir als Beispiel den Abschnitt „Die Universität in der DDR“ auf der Website der HU, in dem jeder Hinweis auf Lehrende und Studierende fehlt, die nicht bereit waren, auf ihre Meinungs- und Redefreiheit zu verzichten, und dafür einen hohen Preis zu zahlen hatten. Ähnlich das 2002 beschlossene Leitbild der HU, das erstaunlicherweise auf den Begriff der Freiheit verzichten kann. Auch hier wird das Thema Widerstand ausgespart, und die Opfer politischer Willkür werden nicht erwähnt. Dabei läge es so nahe, mit einem solchen Bezug das Leitbild einer freien und demokratischen Universität historisch und moralisch zu verankern.

Was haben die Ende der 80er Jahre vom künftigen Präsidenten der HU Jan-Hendrik Olbertz verfassten Texte mit alldem zu tun? Sind sie noch von Bedeutung? Zumindest dürfte von Belang sein, wie er sich heute dazu verhält. Er findet seine eigenen Texte peinlich – zu Recht. Und verteidigt sie damit, dass sie unvermeidlich gewesen seien – zu Unrecht. Merkwürdig zu lesen, dass er „zu DDR-Zeiten ein paar Zugeständnisse gemacht habe, aber nur mit Worten“. Dabei sind Worte das eigentliche Ausdrucksmittel eines Geisteswissenschaftlers. Sie sind, wenn man so will, seine Taten.

Beunruhigend auch Stellungnahmen mancher Journalisten. Zwar gelten sie von Berufs wegen als Verteidiger der Meinungs- und Pressefreiheit, aber hier ist ihre Botschaft unmissverständlich: Opportunismus ist unter den Bedingungen einer Diktatur normal – wo ist das Problem?

Allzu viel Verständnis für Anpassung und Opportunismus führt leicht dazu, dass diejenigen, die der Wahrheit die Ehre gaben und dafür mit dem Verzicht auf beruflichen Erfolg und Karriere bezahlten oder verfolgt wurden, heute zu Narren gemacht werden. In der Logik derer, für die Opportunismus in Zeiten der Diktatur alternativlos ist, müsste man doch fragen, ob sie nicht besser geschwiegen und sich klüger verhalten hätten. Was hätte aus ihnen noch alles werden können! Stattdessen wurden sie ermordet oder verbrachten Jahre in Haft. Unzählige andere verloren ihren Lehrstuhl oder die Aussicht auf einen Studienabschluss. Davon hatte doch keiner was!

Doch – wir. Und deshalb bringen wir Jugendlichen die Schicksale derjenigen nahe, die für die eigene Überzeugung bereit waren, Nachteile in Kauf zu nehmen und Opfer zu bringen? Wir tun es, weil ihre Lebensgeschichten uns darüber nachdenken lassen, was uns Freiheit, Würde und Menschenrechte wert sind und welche Opfer wir notfalls für sie zu bringen bereit sind.

Dabei geht es nicht darum, diejenigen zu beschämen, die weniger mutig waren und ihre großen oder kleinen Zugeständnisse machten. Doch sollten diese Zugeständnisse nicht das letzte Wort im Streit um Freiheit und Wahrhaftigkeit sein. Wir brauchen die Unterscheidung zwischen ethischem und unethischem Verhalten, zwischen Freiheit und Unfreiheit, zwischen Respekt und Demütigung. Wenn wir darüber nicht diskutieren wollen, haben wir moralisch kapituliert. Alles Nachdenken über Werteerziehung hätte sich damit erledigt.

Noch einmal: Niemandem sollte nach dem Ende einer Diktatur vorgeworfen werden, kein Held gewesen zu sein. Respekt und Glaubwürdigkeit setzen keine makellose Biografie voraus. Von Bedeutung ist vielmehr, ob sich jemand aufrichtig und nachvollziehbar mit den eigenen Fehlern und Irrtümern auseinandergesetzt und daraus gelernt hat, statt sich durchzumogeln.

Die Autorin ist Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen.

Marianne Birthler

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