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Der Tanz der deutschen Nationalspieler erregt im Internet die Gemüter.

© Imago

Gaucho-Tanz der Nationalspieler: Danke, #gauchogate!

Vor der verunglückten Tanzeinlage von Klose, Götze und Co lag eine trügerische Harmonie über dem Land. Eigentlich gut, dass jetzt wieder alle wissen, was sie voneinander zu halten haben.

Es ist ja nun völlig unmöglich, jetzt noch einen Text über das so genannte #gauchogate der tanzenden Nationalspieler am Brandenburger Tor zu schreiben, zumal einen, mit dem man sich nicht allseits unbeliebt macht. Die Ansichten sind ausgetauscht, es bringt überhaupt nichts, auf einzelne Argumente einzugehen. Auch wenn es natürlich reizvoll ist, an dieser prominenten Stelle auf das selten dämliche „So ist das halt mit den kleinen Jungs beim Fußball!“ mit einem donnernden „Argentinien ist nicht Gelsenkirchen, ein WM-Finale kein Revierderby, eine Fanmeile keine Fankurve und Weidenfeller und Klose sind alt genug, nicht jeden Quatsch mitzumachen“ zu antworten. Oder auch auf das „2008 hat das keinen gestört“ mit einem simplen „Stimmt nicht“. Aber nun genug der Haltung.

Denn wer jetzt noch zum Thema selbst schreibt, der macht nur Sturm im Wasserglas, ist ein Klickjäger und Realitätsverweigerer, sollte lieber über Gaza schreiben, Isis und die Ukraine. Und sollte sowieso dieses Wichtigtuerwort „-gate“ nicht in den Text nehmen und schon gar nicht jetzt noch eine Ebene höher springen, also einen Text über die Debatte schreiben, weil das ja auch nur wieder so eine Macke der deutschen Medien ist, erst etwas aufzublasen und um diese Blase dann noch eine weitere zu pusten, wie ein ganz, ganz trauriger Clown.

Aus dieser Falle lässt sich, wenn überhaupt, nur mit rhetorischen Tricks entkommen, etwa dem, die eigene Bitterkeit über die Bitterkeit auf allen Seiten zum Dank umzudeklarieren. Dank dafür, dass diese Zeit der besinnungslosen Harmonie nach dem Finale, die auch den Autor dieser Zeilen als – sagen wir mal – freundlichen Sympathisanten (Für mehr ist er zu sehr Vereinsfan) am Dienstag auf die Straße des 17. Juni spülte, dann plötzlich so schnell vorbei war. Dank dafür, dass nun alle wieder wissen, was sie voneinander zu halten haben. Nicht zuletzt: Dank dafür, dass so für die WM-lose Zukunft allen klar ist, wer „wir“ sind. Nämlich kein einig Schland, sondern ein explosives Ganzes, in dem die Skepsis gegenüber „den Medien“ – inwieweit die berechtigt oder unberechtigt ist, würde diesen Rahmen sprengen – nur eine von vielen akuten Entfremdungstendenzen zwischen gesellschaftlichen Gruppen ist. 

Überhöhung? Jetzt nicht mehr!

Zum bitteren lässt sich dann noch der aufrichtige Dank stellen: ein seinerseits medienkritischer etwa dafür, dass man nun in den nächsten Wochen vielleicht nicht ganz so oft, wie es ohne diesen Wermutstanz der Fall gewesen wäre, Analogien Fußballmannschaft – Gesellschaft lesen, hören und sehen muss. Denn dass jeder, der die Spieler nun mit ihrer jugendlichen Unbedarftheit verteidigt, notwendig eingesteht, dass sie – eben – unbedarft sind, zieht möglichen Überhöhungen frühzeitig den Stecker. Wer will schon offenkundig apolitische Dummerchen, die Selfies mit brasilianischen Militärpolizisten machen, den Unterschied zwischen Verein und Nation nicht spüren und Medienvertreter, die sie kritisieren, einfach mal, respektlos, "respektlos" nennen, als Vorbilder für Politik und Gesellschaft hinstellen? Dank #gauchogate ist Fußball notwendigerweise wieder Fußball – ihm hätte Schlimmeres passieren können. Und damit geht der Blick nun Richtung Bundesliga, wo, mit geringerer Fallhöhe und von Verein zu Verein statt von Schland zu Gegnerland, ganz anders geschmäht werden kann. Dank dafür, dass es beides gibt.

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