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Meinungen: Gefährliches Säbelrasseln

Die Situation im Nahen Osten scheint sich weiterhin nicht zu entspannen. Ein „Pulverfass“ findet Stephan Kramer. Für Israel müsse das Verhältnis zur Türkei wichtiger sein als falscher Stolz.

In diesen Tagen zieht die Eskalation in den Beziehungen zwischen der Türkei und Israel besorgte Blicke auf sich. Die Sorge ist berechtigt. Die Gefahr, die von der Konfrontation ausgeht, reicht über das Verhältnis zwischen den beiden Staaten, ja weit über die Grenzen des Nahen Ostens hinaus. Unmittelbarer Auslöser der Eskalation war der letzte Woche publik gewordene Bericht einer UN-Untersuchungskommission zur „Gaza-Hilfsflotte“. Damals hat die israelische Armee den Versuch mehrerer von der türkischen Organisation IHH auf den Weg gebrachter Schiffe vereitelt, die israelische Seeblockade des Gaza-Streifens zu durchbrechen. Dabei wurden acht türkische Bürger und ein türkischstämmiger US-Bürger, die die israelischen Soldaten beim Entern angegriffen hatten, erschossen.

Die bilateralen Beziehungen glichen in letzter Zeit einem Pulverfass. Der Untersuchungsbericht kam nun als Zünder hinzu. Die Kommission kritisierte Israel zwar scharf wegen übermäßiger Gewaltanwendung, sprach das Land aber von dem Vorwurf frei, mit der Blockade gegen das Völkerrecht zu verstoßen. Zugleich mahnte sie, die türkischen Behörden hätten „mehr tun können“, um die Initiatoren der Flotte von ihrem Vorhaben abzubringen. In Ankara wurden dies als ein Schlag ins Gesicht empfunden. Die diplomatischen Beziehungen zu Israel wurden reduziert, alle Militärabkommen eingefroren. Jetzt will die türkische Regierung auch den Internationalen Gerichtshof anrufen und hat eine stärkere Präsenz ihrer Marine im östlichen Mittelmeer angekündigt.

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Dies als Säbelrasseln zu verharmlosen, könnte sich als Fehler herausstellen. Jede Verschärfung der Lage wäre nicht nur eine ernste Gefahr für die Stabilität des Nahen Ostens, sondern auch ein Albtraum für den Westen. Die Türkei, Israel und die internationale Politik sind gefordert, die Krise rasch zu entschärfen. Beide Regierungen müssen bereit sein, der Staatsräson den Vorrang vor Emotionen und innenpolitischen Muskelspielen zu geben. Deutschland könnte die überfälligen Vermittlungsbemühungen entscheidend beeinflussen. Allerdings liegen die Schlüssel zur Beilegung der Konfrontation letztendlich in Ankara und in Jerusalem. Dabei muss die türkische Seite weiter zurückrudern, um den Vorwurf einer islamistisch gefärbten Anti-Israel-Politik zu entkräften. Der türkische Premier hat ideologisch gefärbte Äußerungen gemacht, die in Israel zu Recht schlecht ankamen. So etwa erklärte er, der Jerusalemer Tempelberg, auf dem heute die Al-Aksa-Moschee steht, sei schon immer eine muslimische, aber niemals eine jüdische Stätte gewesen. Diese Aussage gilt in der islamischen Welt als Code für eine stramm antiisraelische Grundhaltung. Natürlich blieb auch die Annäherung zwischen der Türkei und dem Iran nicht unbemerkt. Nicht nur in Israel gewinnt man zunehmend den Eindruck, dass Erdogan immer mehr einem radikalen Islamisten ähnelt, der sich in seinem Hass gegen Israel kaum noch vom iranischen Präsidenten Ahmadinedschad unterscheidet.

Seinerseits muss auch Israel kritisch in den Spiegel blicken. Nach dem tödlichen Ausgang der Operation hüllte sich Jerusalem in Selbstgerechtigkeit. Dabei wiesen israelische Militär- und Antiterrorexperten sofort auf schwerwiegende Planungs- und Durchführungsfehler beim Stopp der Gaza-Flotte hin. Israel hätte sich nichts vergeben, sich für die Folgen dieser Fehler zu entschuldigen. Das Land muss nun begreifen, dass das Verhältnis zur Türkei unvergleichlich wichtiger ist als falscher Stolz.

An dieser Stelle sei auf etwas hingewiesen, das hoffentlich selbstverständlich ist. Die Krise zwischen der Türkei und Israel darf unter keinen Umständen auf das vertrauensvolle Verhältnis zwischen der türkischen beziehungsweise türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland und der jüdischen Gemeinschaft übergreifen. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat diese Auffassung von jeher vertreten und bekennt sich gerade in der jetzigen Lage erneut und mit Nachdruck dazu.

Der Autor ist Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland.

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