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Harald Martenstein ist Autor des Tagesspiegels. Seine Kolumne erscheint immer sonntags.

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Harald Martenstein antwortet: Woher kommt dieser unheilige Zorn auf die Kirche?

Für Leserin Charlotte Maendlein ist der Zynismus von Martensteins Kolumne "Ganz in der Tradition der Kirche" über Päpste und Sexualmoral unerträglich - dieser Antwortet jedoch mit einer Gegenfrage.

„Ganz in der Tradition der Kirche“ vom 17. März

Der Zynismus ist diesmal unerträglich. Überall da, wo Menschen agieren – egal ob in der Institution Kirche, im Staatsapparat, im Privatleben oder in der Wirtschaft gab und gibt es schuldhaftes Verhalten. Schlimm ist es für diejenigen, die darunter leiden; ebenso wenn Wort und Tat nicht übereinstimmen und darum Vertrauen verloren geht. Was aber soll mit diesem zynischen Artikel erreicht werden? Ist es ein Alibi für Kirchenfeindlichkeit oder die Ablehnung christlicher Werte? Oder soll die Schuld anderer herangezogen werden als Rechtfertigung für neue Schuld? Dazu passt die Aussage Ralf Kampers: „Der Zyniker gefällt sich in Fundamentalkritik. Mit dieser Kritik will er nicht verändern, sondern rechtfertigen.“

Weil Sixtus IV. ein „liberales“ Verhältnis zur Homosexualität hatte, soll die Kirche heute sie nicht nur normal finden, sondern ein „ja“ zur Adoption durch homosexuelle Paare. Ungeachtet vieler Millionen Kinder, die unter dem Verlust von Vater oder Mutter leiden, weil sie beide brauchen. Menschen unserer Zeit, die einerseits ein Schuldprinzip ablehnen, durchforsten andererseits besonders gern die Vergangenheit anderer Menschen nach Fehlern bis sie fündig werden.

Charlotte Maendlein, Berlin-Mariendorf

Harald Martenstein antwortet:

Sehr geehrte Frau Maendlein,

Sie sprechen einen Text an, in dem ich an die sexuellen Exzesse der sogenannten „Renaissancepäpste“ erinnert habe. Damals feierten Päpste Orgien, zeugten fleißig Kinder, andere waren offen schwul. Was natürlich alles in Ordnung ist, nur halt in Widerspruch zu der von ihnen gepredigten Lehre stand. Diese Heuchelei hat, wie Sie wissen, viel zur Reformation und zur Spaltung der Kirche beigetragen. Es wundert mich, dass Sie mir „Zynismus“ vorwerfen. Sind nicht eher die von mir erwähnten Päpste zynisch gewesen?

Heute bekennt sich die katholische Kirche dazu, dass sie in ihrer Vergangenheit Fehler gemacht hat, wenn auch, für meinen Geschmack, recht halbherzig. Fest steht, dass die Kirche in ihrer Geschichte damals dem sogenannten „Zeitgeist“ gefolgt ist – in der Renaissance waren die Sitten ja generell recht locker. Die heutige Kirche zieht daraus, vereinfacht gesagt, den Schluss, dass sie dem Zeitgeist auf keinen Fall folgen sollte. Dies war zumindest im Großen und Ganzen die Linie der letzten Päpste. Die Kirche lehnt zum Beispiel Homosexualität strikt ab, auch bei Franziskus scheint dies der Fall zu sein. Homosexuelle Menschen werden akzeptiert, das stimmt, aber sie sollen darauf verzichten, ihrer Neigung nachzugehen, und natürlich sollen sie einander nicht heiraten dürfen, sie sollen auch keine Kinder adoptieren.

Es gibt aber keine ewigen Moralprinzipien, auch die Haltung zur Homosexualität ist in der Geschichte, ja nach Epoche und Gesellschaft, sehr unterschiedlich gewesen. In der Antike war man in dieser Hinsicht deutlich liberaler als im Europa des 19. Jahrhunderts. Irgendeinem Zeitgeist folgt man immer, Frau Maendlein, aus dieser Falle kommt man nicht heraus. In puncto Homosexualität, nein, in allen Fragen zur Sexualität folgt die Kirche im Wesentlichen den Denkweisen des 19. Jahrhunderts. Sie beruft sich dabei auf etwas, das sie den „göttlichen Willen“ nennt.

Als ehemaliger Katholik frage ich mich, wie die Kirche so sicher sein kann, dass Gott sie in Fragen der Sexualmoral berät und ihr den Auftrag gegeben hat, in diesem Lebensbereich über „richtig“ und „falsch“ zu entscheiden. Falls dem so ist, falls die Kirche von Gott zum Moralwächter berufen wurde – was ist dann in Gott vorgegangen, als er die Renaissancepäpste schuf? Waren die Renaissancepäpste der Beweis dafür, dass Gott Humor hat? War Gott damals vielleicht nur unaufmerksam, wollte er ein Negativbeispiel geben?

Fest steht, dass Gott, falls es ihn gibt, den Menschen das Begehren geschenkt hat. Das Begehren ist notwendig, damit wir nicht aussterben. Aber es ist, jenseits der Fortpflanzung, auch eine Quelle der Freude. Ich vermute, dass auch streng katholische Paare nicht nur dann miteinander schlafen, wenn sie beabsichtigen, ein Kind zu zeugen. Können wir uns darauf einigen, dass Sexualität nichts Böses, Teuflisches ist, sondern, meistens, etwas Gutes? Wenn die Kirche das Begehren als gut, als göttliche Gabe ansehen könnte, das Begehren, nicht nur die Fortpflanzung, dann könnte sie sich vielleicht auch endlich damit abfinden, dass es Begehren in den unterschiedlichsten Formen gibt. Ja, ich weiß, Begehren hat auch eine Nachtseite, sonst gäbe es keine Sexualverbrechen. Aber auch der Glaube hat, wenn er zu Fanatismus wurde, oft Verbrechen hervorgebracht, wissen Sie.

Zur Adoption: Es mag sein, dass es für ein Kind besser ist, einen Vater und eine Mutter zu haben, besser als zwei Väter oder zwei Mütter. Aber welche Eltern sind schon ideal? Es ist meistens besser, gebildete Eltern zu haben als ungebildete, wohlhabende als arme, gelassene als cholerische. Entscheidend ist, dass Eltern ihr Kind lieben. Und dass Homosexuelle nicht lieben könnten, nein, so etwas behauptet, so weit ich weiß, nicht einmal die katholische Kirche.

Harald Martenstein ist Autor des Tagesspiegels. Seine Kolumne erscheint immer sonntags.

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