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Hetze in Berlin: Touristenhasser raus!

Zu laut, zu blöd und ständig im Weg: In unserer toleranten Weltstadt gehört es inzwischen zum guten Ton, gegen Besucher zu hetzen. Unser Autor glaubt, es hackt. Eine Solidaritätsbekundung.

Donnerstagabend auf dem Gipfel des Kreuzbergs. Ein Mann ärgert sich über Glasscherben auf den Treppenstufen des Nationaldenkmals und schimpft: „Scheiß Touris!“ Nicht, dass gerade welche zu sehen wären. Er hat auch keinen Lonely Planet zwischen den Scherben am Boden entdeckt oder Visitenkarten mit exotischen Namen drauf. Nein, das müssen Touristen gewesen sein, weil die so etwas ständig tun: sich danebenbenehmen, alles zumüllen, uns das Leben schwer machen.

Freunde prahlen damit, orientierungslose Berlin-Besucher gelegentlich gezielt in die Irre zu führen und etwa statt zur Friedrichstraße Richtung Reinickendorf zu schicken. Ein Nachbar besitzt ein T-Shirt mit der lustig gemeinten Aufschrift „Wir verhandeln nicht mit Touristen“. Eine Bekannte, die sich für linksliberal hält, begründete ihre Ablehnung neulich mit dem Argument: „Die machen uns unsere Clubs kaputt.“ Ich glaube, es hackt.

Auf der gefühlten Lästigkeitsskala rangiert der gemeine Tourist bei vielen irgendwo zwischen Stechmücke und Hundekot. Und wer zugibt, dass er Touristen eigentlich ganz gerne mag (etwa weil sie sich für Dinge begeistern können, die Einheimische längst nicht mehr wahrnehmen), wird so entsetzt angesehen, als hätte er gerade den Holocaust geleugnet.

Jetzt könnte man wohl argumentieren, dass Tourismus doch ein wichtiges ökonomisches Standbein ist, dass der Berliner Haushalt ohne die 22 Millionen Übernachtungen pro Jahr und alle damit verbundenen direkten und indirekten Einnahmen noch desolater dastände.

Aber darum geht es gar nicht. Sondern um die arrogante Grundhaltung: Wie kann einer Menschen ablehnen, bloß weil sie sich in einer fremden Stadt bewegen, ohne vorher um Erlaubnis gefragt zu haben?

Groteskerweise gilt Touristen-Bashing gerade in solchen Kreisen als politisch korrekt, die sich ansonsten dem Kampf gegen jede Form von Diskriminierung verschrieben haben. Als die Kreuzberger Grünen zu einem Diskussionsabend mit dem armseligen Motto „Hilfe, die Touris kommen!“ luden, erschienen empörte Kiezbewohner, die ernsthaft eine Bannmeile um ihr Viertel forderten.

Die Botschaft ist im Ausland inzwischen angekommen

Es kann nicht sein, dass man als Nichtdeutscher in Berlin einen ordentlichen Flüchtlingshintergrund vorweisen muss, um willkommen zu sein. In der autonomen Zeitschrift „Interim“ schlug ein namenloser Autor eine Abschreckungskampagne vor – inklusive konkreter Tipps: Geldbörsen und Handys klauen, Müll verursachen, Touristenbusse bewerfen, Hotels angreifen. Das mag sich ein einzelner Schwachkopf ausgedacht haben – aber zu viele fanden, dass er irgendwie ein bisschen recht habe.

Die Botschaft ist inzwischen angekommen. Der „Guardian“ beobachtet ein wachsendes „anti-tourist movement“ und warnt seine Leser: „Die Berliner haben einen neuen Feind: Euch!“ Die „Ouest-France“ berichtet über einen „Aufstand der genervten Einwohner“. Im Internet geben sich Briten, Amerikaner und Spanier gegenseitig Ratschläge, wie sie bei ihrem nächsten Aufenthalt möglichst wenig auffallen und den Einheimischen keinen Grund für einen Wutausbruch liefern. Zum Beispiel: in der Öffentlichkeit leise sprechen, im Café nie telefonieren, keine Nazi-Witze reißen. Manche empfehlen, sich grundsätzlich von belebten Plätzen wie dem Hackeschen Markt oder der Admiralbrücke fernzuhalten, um nicht mit anderen Touristen gesehen zu werden.

Natürlich darf man Tourismus problematisieren. Weil er oft Gentrifizierung bedeutet und weil die massenhafte Umwandlung von Mietwohnungen in Ferienappartements der Stadt nicht bekommt. Hier ließe sich politisch gegensteuern, sei es mit einem Zweckentfremdungsverbot oder einer Touristensteuer. Man kann diese Prozesse aber nicht dem Einzelnen anlasten, der sich für einen Berlin-Trip entschieden hat, weil er neugierig ist auf diese Stadt.

„Berlin doesn’t love you“, liest man auf Aufklebern, „Go home, tourist“ an Häuserwänden. In Orten wie Hohenschwangau oder Binz auf Rügen, wo Besucher tatsächlich das Stadtbild dominieren, findet man derartige Sprüche nirgends.

Das Klischee des Berlin-Touristen sieht inzwischen so aus: mit Easyjet einfliegen, betrunken aus dem Flugzeug stolpern, abends in Horden durch die Straßen ziehen, dabei Lärm machen und Szenekneipen okkupieren, tagsüber mit dem gemieteten Segway ein paar Rentner umfahren oder wenigstens gründlich mit dem Rollkoffer rattern. Nach 48 Stunden Partyexzess wird erschöpft die Heimreise angetreten.

Die Wahrheit sieht reichlich anders aus. Im Gegensatz zu den Einheimischen wissen die meisten Touristen sehr genau, wie man sich vor einem Museum in die Warteschlange einreiht, gelegentlich Bitte oder Danke sagt und sich am Taxistand nicht vordrängelt. Dass sich ausgerechnet die Berliner über schlechtes Benehmen anderer beschweren, ist ein Witz für sich. Pöbeln, grölen, anschnauzen, auf den Bürgersteig spucken – in diesen Disziplinen können uns weltweit nur wenige das Wasser reichen.

Fragt man einen Touristen-Hasser, warum er selbst hier leben dürfe und der Fremde aber besser zu Hause bleiben solle, bleibt am Ende nicht mehr als ein trotziges „Ich war zuerst da“. Wie provinziell. Wer in einer Großstadt lebt, muss Trubel in Kauf nehmen. Wers nicht will oder kann: In Eberswalde sollen die Grundstückspreise gerade recht niedrig sein.

Es kann nicht sein, dass man erst einen ordentlichen Flüchtlingshintergrund vorweisen muss, um willkommen zu sein.

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