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Die Zahl der erwerbslosen Migranten ist im Vergleich zu 2005 deutlich gesunken - und zwar stärker als im Durchschnitt der Bevölkerung.

© dpa

Integration: Zurück in der Ebene

Die Integrationsbeauftragte des Bundes hat ihren zweiten Bericht vorgelegt. Die Zahlensammlung lässt hoffen – vor allem auf mehr Vernunft in der Debatte.

Von Anna Sauerbrey

Thilo Sarrazin schreibt an einem neuen Buch. Bevor eine Debatte darüber ausbricht, ob diese Meldung den Tatbestand der Drohung erfüllt, sei entwarnend hinzugefügt: Dieses Mal geht es nicht um Migration, Integration oder Demografie. Medien vermelden, das neue Werk behandele den Euro.

Glück gehabt. Dieses Thema hat noch dem provokantesten Schreiberling die giftige Tinte vertrocknen lassen. Freunde der Polarisierung müssen sich also bis auf Weiteres mit dem Vorwort zur Taschenbuchausgabe von „Deutschland schafft sich ab“ zufrieden geben. Darin sortiert der Autor noch mal fein säuberlich die politische Landschaft in seine „Befürworter“ und die, die gegen ihn waren – oder zu blöd, ihn zu verstehen.

Doch selbst ein zweites Sarrazin-Buch würde Deutschland vermutlich nicht so treffen, wie es ihm mit seinem ersten gelungen war. Die Debatte hat sich abgekühlt, die Beiträge sind nachdenklicher, nüchterner geworden, eine Atmosphäre, in der man den am Donnerstag erschienenen zweiten Bericht der Integrationsbeauftragten Maria Böhmer zunächst einmal als das lesen kann, was er ist – eher dröge Kost, eine minutiöse Untersuchung des Patienten Einwanderungsgesellschaft anhand aller verfügbaren Daten, vom Bildungsblutdruck bis zum Kriminalitätspuls.

Viele Werte sind erfreulich. Der Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund ohne Schulabschluss ist zurückgegangen, besonders in der zweiten Generation. Die Arbeitslosenquote unter Migranten ist gesunken, und zwar über den konjunkturellen Trend hinaus. Vieles spricht dafür, dass sich die Lebensstile zunehmend angleichen. Zwar besuchen immer noch weniger Kinder von Einwanderern unter drei Jahren eine Kindertagesstätte, es sind aber bereits mehr als noch 2005. Auch die negativen Werte sind noch deutlich. Weiterhin ist die Erwerbslosenquote unter Einwanderern höher, ihr Einkommen geringer und: Ausländer werden doppelt so oft vor Gericht verurteilt (eine Zahl freilich, über die sich lange streiten lässt).

Natürlich verstecken sich zwischen den endlosen Zahlenkolonnen politische Implikationen. Vor allem zeigt der Bericht, dass die Ängste, die Sarrazin schürte – die Angst etwa vor einer „Verdummung“ der Gesellschaft – auf einen typischen Fehler im Umgang mit Statistiken zurückgehen. Sarrazins Prognose beruht auf einer linearen Fortschreibung aktueller Beobachtungen in die Zukunft. So kam er zu der These, dass die aktuelle Geburtenrate unter Migranten, kombiniert mit deren Bildungsgrad, irgendwann ein „dümmeres“ Deutschland ergeben müsse. Er missachtet damit die Wandelbarkeit von Gesellschaft, wie sie der Integrationsbericht belegt.

Zwar ist dieser Wandel langsam und mühsam. Er wird auch nicht durch polarisierende Debatten befördert, sondern allein dort, wo sich Lehrer und Erzieher, Sozialarbeiter und Richter um Sprachkenntnisse, Bildung und Auswege aus kriminellen Milieus bemühen: tief in der Ebene. Wo auch die Integrationsdebatte glücklicherweise wieder angekommen ist.

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