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Ostermarsch 2014 in Stuttgart

© dpa

IPPNW fordern Ächtung der Atomwaffen: "Überbleibsel des Kalten Krieges"

Einer unserer Leser stört sich an der Stationierung von Atomwaffen der USA in Deutschland - die IPPNW-Campaignerin Xanthe Hall meint, sie müssen abgezogen werden, weil ihre Stationierung keine Konflikte löse. Ein Gastkommentar.

In letzter Zeit begegnen mir wiederholt Äußerungen gegen die in Deutschland stationierten US-Atomwaffen aus einer nationalistischen Sicht. Ich bin nicht in Deutschland geboren, sondern vor rund 30 Jahren aus Großbritannien nach West-Berlin zugezogen, als Deutschland noch geteilt und Frontstaat war. Inzwischen habe ich die doppelte Staatsbürgerschaft. Mein Beruf: Internationale Abrüstungscampaignerin für die Friedensnobelpreis tragende Ärzteorganisation IPPNW.

Mich stört es sehr, wenn Menschen meinen, das Problem der Atomwaffen in Deutschland sei lediglich ein Problem der deutschen Abhängigkeit von den USA. Die Atomwaffen in der Eifel müssen meiner Meinung nach abgezogen werden, weil ihre Stationierung weder Konflikte löst noch Sicherheit bietet. Sie steht sogar Lösungen im Weg – sie blockiert unser Denken. Das Prinzip der nuklearen Abschreckung bedeutet, beständig mit höchster Gewalt zu drohen. So kann man nicht wirklich ein friedliches Land werden. Der Kalte Krieg setzte sich fort, obwohl wir ihn so weit verdrängten, dass er uns unsichtbar schien. Die Krise um die Ukraine hat ihn wieder sichtbar gemacht.

Deutschland ist noch Mitglied in einem Bündnis, das die Atomwaffen nach wie vor für einen Eckpunkt seiner Sicherheitspolitik hält. Dieses Bündnis übt die Praxis der „nuklearen Teilhabe“ aus: Die USA stellen ihre Atombomben der Nato zur Verfügung, Nato-Mitglieder (Deutschland, Belgien, Niederlande, Italien und die Türkei) halten Trägerflugzeuge, Piloten und Infrastruktur bereit, um die Atomwaffen im Ernstfall einzusetzen. Für viele Mitgliedsstaaten des Atomwaffensperrvertrags ist die „nukleare Teilhabe“ deswegen völkerrechtswidrig, weil sie gegen diesen Vertrag verstößt.

"Die Bundesregierung hat eine geschichtliche Verantwortung"

Die Stationierung der Atomwaffen in Deutschland soll laut aktuellem Koalitionsvertrag nach erfolgreichen Abrüstungsgesprächen mit Russland über ihre taktischen Atomwaffen beendet werden. Das ist für mich einer der wichtigsten Knotenpunkte der Beendigung des Kalten Krieges. Die vorherige Bundesregierung hatte in meinen Augen eine bessere Strategie: Die Vorleistung des Abzugs der Überbleibsel des Kalten Krieges eröffnet erst das Gespräch mit Russland über Atomwaffen. Das wäre nicht nur eine Sache zwischen Obama und Putin, das tangiert zugleich die Geschichte Europas, die verhandelt werden müsste. Deutschland war einmal Frontstaat, jetzt ist es die Ukraine.

Xanthe Hall
Xanthe Hall

© IPPNW

Ich glaube, dass die deutsche Bundesregierung eine geschichtliche Verantwortung hat, sich aktiv für den Frieden einzusetzen. Genauso sehe ich diese Verantwortung für meine alte Heimat Großbritannien, besonders im Nahen Osten, Afrika und Asien, falls sich jemand von meiner Kritik gestört fühlt. Den Mut, ihre Atomwaffen aufzugeben und die Abschreckungsdoktrin als Hindernis für Frieden zu begreifen, haben die Ukraine, Kasachstan, Belarus und Südafrika bereits vor langer Zeit gezeigt. Will man Frieden, muss man erst einmal die Waffen niederlegen.

Jetzt ist es an der Zeit, dass Deutschland nicht nur die US-Atombomben abziehen lässt, sondern sich auch deutlich bei der 3. Staatenkonferenz zu humanitären Folgen von Atomwaffen in Wien im Dezember für eine Ächtung dieser Massenvernichtungswaffen ausspricht. Aus dieser Reihe von Konferenzen – beginnend in Oslo im März 2013 und fortgeführt in Mexiko im Februar 2014 – bildet sich ein Momentum für die Abrüstung heraus, das bisher alleine von atomwaffenfreien Staaten getragen wird. Hier könnte Deutschland als Bündnispartner dreier Atomwaffenstaaten, ähnlich wie Norwegen, ein Zeichen setzen und einen internationalen Verbotsvertrag fordern. Denn nur Deutschland atomwaffenfrei zu machen, ohne sich gleichzeitig für eine atomwaffenfreie Welt zu engagieren, ist in meinen Augen zu wenig.

Xanthe Hall ist internationale Abrüstungscampaignerin bei der deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW), Berlin. In der Rubrik "Zurückgeschrieben" auf der Tagesspiegel-Leserbriefseite antwortet sie unserem Leser Heinz Gaffron aus Berlin.

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