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Jenseits des Rubikon: Wie der Präsident die Pressefreiheit nutzt

Die Angelegenheit zerstört nicht die Glaubwürdigkeit eines Präsidenten und gefährdet nicht die ohnehin sehr freien Methoden von Boulevardjournalisten, sie verzerrt nur die Maßstäbe für die berechtigte Berufung auf ein wichtiges Grundrecht.

Als es vor über anderthalb Jahrhunderten noch ein Anliegen war, die „Preßfreiheit“ vor „Censur, Concessionen, Sicherheitsbestellungen, Staatsauflagen, Beschränkungen der Druckereien“ zu schützen, dachte niemand an Christian Wulff und an „Bild“. Wahrscheinlich wären die Revolutionäre von damals erstaunt, besähen sie heute, wie leichtfertig der Großbegriff der Pressefreiheit auf zwei Kombattanten angewendet wird, die sich per Mailbox, Presseerklärung oder Durchstechereien gegenseitig mit Dreck bewerfen. Die Angelegenheit zerstört nicht die Glaubwürdigkeit eines Präsidenten und gefährdet nicht die ohnehin sehr freien Methoden von Boulevardjournalisten, sie verzerrt nur die Maßstäbe für die berechtigte Berufung auf ein wichtiges Grundrecht. Schlimm genug, doch nichts, worüber lohnte, sich wirklich aufzuregen.

Was war geschehen? Unser Staatsoberhaupt ruft den „Bild“-Chef an, um das Blatt vergeblich von dessen Berichten zur Kreditaffäre abzubringen oder sie zumindest verschieben zu lassen. Ein peinlicher Anruf, für den sich Wulff später zu Recht entschuldigt. Der „Bild“-Chef nimmt das an. Weil Wulff trotz aller Vorwürfe im Amt bleibt, holt man die Mailbox-Geschichte später wieder heraus. Wer, wenn nicht der Empfänger der offenbar sehr persönlich gehaltenen Wulff-Ansage, sollte dies veranlasst haben?

Einen solchen Vertrauensbruch sollte man nicht mit Journalismus verwechseln. Weil es ein öffentliches Interesse gibt, wäre die Veröffentlichung des Textes zwar wohl zulässig. Doch hätte es keines Christian Wulffs bedurft, um zu erkennen, dass nicht alles, was juristisch rechtens ist, auch richtig ist. Wulff hat gut daran getan, sich nicht auf dieses Spiel einzulassen und seine Zustimmung zur Veröffentlichung zu verweigern. Zumindest in Auszügen hatten Interessierte das schließlich längst besorgt. Der Präsident hätte sich damit nur noch lächerlicher gemacht; wie übrigens jene, die jetzt allen Ernstes fordern, dies müsse im Namen der Transparenz ganz offiziell noch nachgeholt werden. Das muss es nicht. Wir wissen und haben genug.

Wir wissen zum Beispiel, dass zwischen dem amtierenden Bundespräsidenten und dem „Bild“-Chef ein irgendwie engeres Verhältnis geherrscht haben muss, eine Nähebeziehung, die nun vor aller Augen ein Ende gefunden hat. Ein Bruch, der einer freien und staatsfernen Presse keinen Schaden zufügen muss, im Gegenteil. Zu viel Nähe zur Macht – und sei es auch nur zur kleinen Macht eines Bundespräsidenten – tut keiner unabhängigen und überparteilichen Publikation gut. Dass nun der „Rubikon überschritten“ sei oder eine Art „Krieg“ ausbreche, könnte im Sinne der Pressefreiheit besser sein als die Situation zuvor. Das wäre dann eine gute Nachricht. Die schlechte ist, dass dieses Geplänkel den eigentlichen Skandal vollends überlagert hat.

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