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Hatice Akyün ist Autorin und freie Journalistin. Sie ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause.

© promo

Kolumne "Meine Heimat": Wie Muslime Weihnachten feiern

Jetzt hat Weihnachten sogar unsere muslimischen Mitbürger erfasst. Das passiert eben, wenn Politiker ständig „Leitkultur“ und „Integration“ schreien.

Uff! Wer hat sich das eigentlich ausgedacht? Diese Rennerei, meterhohe Tannen, die weder in Wohnung noch in Baumständer passen, Geschenke über Geschenke und essen, bis man fast platzt. Verzeihen Sie mir meine Unkenntnis, Weihnachten ist ja nicht so ganz mein Fest. Aber war das nicht so, dass das Jesuskind in einem Stall geboren wurde, und die Drei Könige Geschenke brachten? Und waren diese Geschenke nicht Gold, Weihrauch und, und, und, ach ja, Myrrhe? Klitzekleine Dinge, die locker in einem Döschen Platz gehabt hätten?

Was ist im 21. Jahrhundert daraus geworden? Nicht nur, dass wir tonnenweise Geschenke einkaufen gehen oder im Internet bestellen, Gänse und Karpfen daran glauben müssen, nein, jetzt hat dieses Weihnachten sogar unsere muslimischen Mitbürger erfasst, um diesem Fest der Nächstenliebe noch eine weitere Variante hinzuzufügen. Das passiert eben, wenn Politiker ständig „Leitkultur“ und „Integration“ schreien.

Meine Eltern machen sich überhaupt nichts aus Weihnachten, was man ihnen auch nicht verdenken kann. Schließlich sind sie in ihrem anatolischen Dorf nicht damit konfrontiert worden. Ein bisschen beneide ich sie darum. Meine Geschwister und ich können es trotzdem nicht lassen, jedes Jahr aufs Neue Weihnachtsrituale in unser Multikulti-Leben einzubauen. Vor einigen Jahren fing es ganz harmlos an, mit kleinen Geschenken für die Neffen und Nichten. Aus einem bisher nicht näher bekannten Grund, wuchsen diese Geschenke jedes Jahr um das Doppelte an, wobei die Anzahl der Beschenkten ebenfalls merklich zunahm. Ich meine, dass es meine drittjüngste Schwester war, die urplötzlich mit der Idee ankam, dass es doch auch schön wäre, unseren Eltern etwas zu schenken. Mein Einwand, dass wir gläubige muslimische Eltern hätten, wurde nicht nur weggebügelt, ich wurde zudem noch mit monatelanger Missachtung bestraft, als hätte ich vorgeschlagen, unsere Eltern ins Altenheim zu bringen.

Die Geschenke dürfen keine Weihnachtsgeschenke sein.

Wir dürften die Geschenke bloß nicht als Weihnachtsgeschenke bezeichnen, so der geniale Einfall meiner Geschwister. So wurden aus den Weihnachtsgeschenken für meine Eltern, Neujahrsgeschenke unter Muslimen, die aber trotzdem, weil es alle anderen in der Nachbarschaft auch so machten, am 24. Dezember übergeben wurden. Und weil mittlerweile auch in der Türkei überall Weihnachtsschmuck hängt und die Tannenbäume schon längst dazugehören, ja und weil meine Eltern auch an Weihnachten viel Besuch von den Nachbarn, den Kindern und Enkeln bekommen und mein Vater großen Wert auf Gastlichkeit legt, gibt es bei den Akyüns nun auch einen Weihnachtsbaum mit allem Pipapo.

Um es noch einmal verständlich zusammenzufassen: Meine muslimische Familie feiert Weihnachten mit Neujahrsgeschenken zu Heiligabend, mit einer koscheren Weihnachtsgans vom türkischen Metzger, einem Weihnachtsbaum, der für die Nachbarskinder aufgestellt wird, mit Kerzen daran, weil es so viel schöner leuchtet, und mit Weihnachtsliedern, die meine Nichten, Neffen und meine Tochter meinem Vater vortragen, um zu zeigen, was sie im Kindergarten gelernt haben. Aber eigentlich feiern wir gar kein Weihnachten, wir machen uns wirklich nichts daraus. Oder wie mein Vater sagen würde: „Deliye her gün bayram“ – für den Verrückten ist jeder Tag ein Fest.

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