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Hatice Akyün.

© Andre Rival

Kolumne "Meine Heimat": Was hat der Ehrenmord mit Ehre zu tun?

Ehrenmord ist das fatale Endprodukt falsch verstandener Traditionen. Aber er bleibt ein Problem, das sich nur von innen lösen lässt.

Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“, sagte Otto Wels, als er und seine SPD sich im Reichstag dem Ermächtigungsgesetz des Mannes aus Braunau in den Weg stellten. Wohlwissend, welches Schicksal sie erwarten würde. Sozialdemokraten können, wenn sie müssen, todesmutig sein. Aber das ist nicht mein heutiges Thema. Ich durfte eine Laudatio zu einem Preis halten, der den Namen Tulpe trägt. Die kommt wie auch der Kaffee von meinen Vorfahren, genau wie die Zahlen, die Mathematik und die Astronomie. Aber auch das ist heute nicht mein Thema. Mit der Tulpe werden in Berlin Projekte ausgezeichnet, die sich für den deutsch-türkischen Gemeinsinn starkmachen.

Mit dem 1. Preis wurden junge Männer ausgezeichnet, die sich einem Thema widmen, bei dem ich mich winde. Auch, weil ich nicht verstehe, wie so eine Unmenschlichkeit bei uns noch Raum finden kann. Deshalb hielt ich bislang den größtmöglichen Abstand. Zu groß war die Gefahr, ins falsche Fahrwasser zu geraten. Objektivität schien hierbei unmöglich. Während andere moralisieren, wieder andere darlegen, dass es sich hier um ein typisches Phänomen von muslimischen Migranten handelt, haben die Preisträger von „Heroes“ völlig unirritiert gehandelt. In meine Begeisterung mischte sich auch Scham, weil ich nichts damit zu tun haben wollte, genau wie die Mehrheitsgesellschaft und die Mehrheit der Migranten, die sich von derartigen Verhaltensweisen abgestoßen fühlen.

„Gegen Unterdrückung im Namen der Ehre“ heißt es bei den „Heroes“. Da standen sie nun auf der Bühne, dieses Dutzend türkischstämmiger, dunkelhaariger, unrasierter Männer, die sich ganz ungeachtet der Öffentlichkeit emanzipiert haben. Sie kommunizieren vor Ort, auf der Straße, dort, wo etwas passiert. Sie thematisieren das, was wir als schrecklich empfinden, aber trotzdem nichts tun, um das Bewusstsein anderer zu ändern. Außen wird viel geredet: Ministerin Schröder, der Innenminister, alle problematisieren und werfen beliebig in den Topf der archaischen Rückständigkeit. Diese Typen von „Heroes“ evaluieren nicht, um ein Problem politisch aufzublasen, die lösen es einfach. Man muss wohl drinnen sein, um Gehör zu finden.

Ehrenmord ist das fatale Endprodukt falsch verstandener Traditionen. Ein Begriff, der sich in sich selbst schon widerspricht. Was hat Ehre mit der vorsätzlichen Tötung eines Menschen zu tun? Und so absurd, wie das Wort klingt, so unüberbrückbar scheint auch das schreckliche Missverständnis. Frauenunterdrückung, Machokultur, Ehrenmord – „Heroes“ gibt Hilfestellung und thematisiert falsch verstandene Begriffe und ordnet sie zusammen mit den Betroffenen neu ein. Nicht von draußen und ohne erhobenen Zeigefinger. Von innen und deshalb glaubwürdig, vertrauensstiftend und verhaltensändernd.

Mich hat es kalt erwischt, weil ich bisher auch weggeschaut habe. Das habe ich mir gemerkt. Die handeln, und ich durfte ihnen dafür einen Preis geben.

Oder wie mein Vater sagen würde: „Adam adam demekle adam olmaz“ – indem der Mann Mann sagt, wird er nicht zum Mann.

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin.

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