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POSITIONEN: Die Kirche, der Missbrauch und der Verdacht

Der Skandal am Canisius-Kolleg ist keine Folge von Sexuallehre und Zölibat.

Der Missbrauchsskandal ist widerlich. Viele schwanken zwischen Abscheu und Wut. Was jetzt wieder einmal offenbar wird, ist erschreckend. Denn hier wird auf besonders perfide Weise verletzt und seelisch getötet. Wenn das dann noch von Seelsorgern verbrochen wird, widert es besonders an.

Es ist gut, dass nun versucht wird, ein Kartell des Wegschauens und Verschweigens zu brechen. Es ist gut, dass im Jesuitenorden nunmehr eine Kultur des Hinschauens gefördert wird. Und es ist auch richtig, dass man an die Öffentlichkeit geht und nicht den Ruf der Kirche über den Schutz der Opfer stellt. Es geht um Aufklärung. Vertuschen und Verdrängen dürfen keine Chance haben.

Eine ganz eigene Form des Vertuschens und Verdrängens scheint besonders beliebt in Deutschland. Denn der Empörung über die verwirrten Patres folgt reflexartig wie automatisch eine einfache Schuldzuweisung an das System Kirche. Ist nicht diese selbst schuld, dass pädophile Triebe sich austoben? Ist es nicht die schuldvolle Sexualmoral, die Menschen in Notsituationen treibt? Und: Fördert nicht der Zölibat letztlich Pädophilie und Homosexualität?

Abgesehen davon, dass solche Überlegungen fast alle Priester unter einen bösen Generalverdacht stellen, und abgesehen davon, dass Pädophilie und Homosexualität kein Spezifikum der katholischen Kirche sind: Wer sich seine Erklärungsmuster so simpel zurechtlegt, hat von der Sexuallehre der Kirche ebenso wenig verstanden wie vom Zölibat. Und er vergrößert den durch einige Einzelpersonen verursachten Schaden nicht nur für die Kirche.

Hinsehen. Erkennen. Handeln. Darum muss es gehen. Der Versuch Einzelner, für das abscheuliche Verhalten der Geistlichen wenigstens teilweise die Sexuallehre der Kirche verantwortlich machen zu wollen, ist ebenso abwegig wie unlauter. Es wäre eine zusätzliche Verhöhnung der Opfer, nun Schuldige ausgerechnet in „der“ Kirche zu suchen. Denn die Sexuallehre der Kirche hat den ganzen Menschen als Einheit von Körper, Geist und Seele im Blick. Hier geht es um Ehrfurcht und um die Erkenntnis, dass Gott den Menschen als Mann und Frau, die sich einander ergänzen, erschaffen hat. Die Kirche betont zu Recht die Kostbarkeit eines geordneten Sexuallebens, in dem Freiheit und Verantwortung gelebt werden.

Und deshalb ist sie gegen jede Diskriminierung etwa von Homosexuellen, aber hält nicht jedes Handeln für gleich wertvoll und richtig. Sie stellt sich gegen die Sünde, nicht gegen den Sünder. Sie steht allerdings auch im Kontrast zur herrschenden durchsexualisierten Diktatur des Relativismus, wenn sie betont, dass gerade bei der Sexualität in hohem Maße Verantwortung gefragt ist.

Wer jetzt allerlei zusammenrührt und aus falschen Schlüssen zu falschen Vorwürfen kommt, handelt nicht redlich und wahrhaftig. Wer zum Beispiel den Zölibat als „Zwangszölibat“ verzerrt oder meint, diese Lebensform sei vor allem und beinahe ausschließlich eine Frage der Sexualität, wird weder dem Zölibat noch jenen gerecht, die sich ebenso freiwillig für das Priestertum entschieden haben wie jene, die freiwillig ihr Leben in einer – pardon – „Zwangs-Einehe“ führen. Auch diese würde übrigens früher oder später scheitern, wenn sie ausschließlich eine Frage der Sexualität und des Triebes wäre.

Wir leben in einer Gesellschaft, die meint, sich alles erlauben zu können. Je absurder, desto interessanter. Auch im Blick auf Sexualität. Dürfen wir uns da wundern, wenn das zu tragischen Missverständnissen und Missbräuchen führt? Wer Gebote und Verbote aufhebt und denen, die für eine geordnete und verantwortungsvolle Sexualität plädieren, als verklemmt verhöhnt, hat von Freiheit nichts begriffen. Es geht immer um die Menschenwürde jedes einzelnen und dessen Respektierung. Einen Generalverdacht darf es nicht geben – weder gegen die Kirche noch gegen den Jesuitenorden noch gegen Homosexuelle.

Der Autor ist Jesuitenschüler und Sprecher des Arbeitskreises Engagierter Katholiken in der CDU.

Martin Lohmann

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