zum Hauptinhalt

Meinung: „Die Söhne sind Ordnungsmacht der Familie“

Necla Kelek kann sich sehr aufregen. Etwa über Menschen, die nicht glauben, dass es eine türkische Parallelgesellschaft in Deutschland gibt – mit eigenen Regeln, die nichts mit geltendem Recht zu tun haben.

Necla Kelek kann sich sehr aufregen. Etwa über Menschen, die nicht glauben, dass es eine türkische Parallelgesellschaft in Deutschland gibt – mit eigenen Regeln, die nichts mit geltendem Recht zu tun haben. Ihre braunen Augen blitzen dann, ihre Sätze, in perfektem Deutsch, überschlagen sich fast. „Ich kann nicht verstehen, wie ein Anwalt im Namen der Freiheit ein System der totalen Unfreiheit verteidigt“, sagte Kelek, nachdem sie am Mittwoch den Prozessauftakt im Fall Sürücü verfolgt hatte. Den drei Brüdern auf der Anklagebank wird vorgeworfen, ihre Schwester Hatun ermordet zu haben, weil deren westlicher Lebensstil ihnen nicht gefallen habe und sie die Familienehre wiederherstellen wollten. Dieses Denken beruhe auf der Scharia, dem islamischen Gesetz, das keine individuelle Freiheit zulasse.

Necla Kelek kam als Neunjährige mit ihren Eltern aus der Türkei nach Deutschland. Sie hat erlebt, wie ihre Eltern, die in Istanbul dem „American Way of Life“ nacheiferten, sich im fremden Deutschland in die Religion flüchteten. Ihr Vater hätte sie fast mit einem Beil erschlagen, weil sie ihm zu widersprechen gewagt hatte. Kelek hat geschafft, was Hatun Sürücü nicht gelungen ist: sich ihr eigenes Leben nach westlichen Maßstäben aufzubauen. Die 47-Jährige lebt mit ihrem Lebensgefährten und ihrem Sohn aus einer geschiedenen Ehe.

Mit ihrem Buch „Die fremde Braut“ hat sie Politikern bis hin zu Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) die Augen dafür geöffnet, unter welchen Bedingungen zwangsverheiratete Türkinnen leben. Für ihre Überzeugung, wonach der Islam mit westlichen Werten schwer zu vereinbaren ist, wird sie von türkischen Organisationen heftig angegriffen. Manchmal habe sie deshalb Angst, sagt die zarte Frau.

Zurzeit arbeitet sie an dem Buch „Die verlorenen Söhne“. Es handelt von der Erziehung der Söhne in türkischen Familien und davon, wie diese Erziehung Männer dazu bringen kann, im Namen der Ehre sogar zu morden. Kelek hat dutzende Männer in Gefängnissen nach ihren Tatmotiven befragt. „Die Söhne fühlen sich als Ordnungsmacht der Familie“, sagt sie. „Der Sürücü-Prozess könnte ein Lehrstück werden, um der Praxis der Ehrenmorde Einhalt zu gebieten“, sagt Kelek. Aber nur, wenn die Richter versuchten, nicht nur die Umstände, sondern auch die Hintergründe der Tat zu ergründen. „Es würde Frauen das Leben retten, wenn klar wird, dass die deutsche Gesellschaft keinen Islambonus verteilt, sondern die Zivilisation verteidigt.“

Zur Startseite