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GASTBEITRAG: Rassismus bleibt Rassismus

Mein Nazivergleich war ein Fehler. Er hat Thilo Sarrazin nur genützt. Aber es bleibt dabei: Sarrazins Äußerungen sind rassistisch und zielen auf niedrigste Instinkte.

Fehler sollte man eingestehen. Als ich Thilo Sarrazin wegen seiner migrantenfeindlichen Äußerungen der geistigen Nähe zum Nationalsozialismus zieh, beging ich einen doppelten Fehler. Erstens, weil Nazivergleiche problematisch sind. Ich selbst habe sie immer kritisiert. Kritik muss dann aber auch zu Selbstkritik führen. Ich wollte Sarrazin nicht unterstellen, wie Hitler und Goebbels zu sein – das ist überzogen –, wohl aber, die Sprache und Gedanken der heutigen Neonazis zu verwenden.

Die Parallele war auch der Sache selbst nicht dienlich, droht doch der Wirbel um den Vergleich Sarrazin im Kampf um seinen schmählich verlorenen Ruf zu helfen. Das wäre erst recht bedauerlich. Deshalb möchte ich meine Kernaussage wiederholen: Sarrazins Äußerungen sind rassistisch und zielen auf niedrigste Instinkte. Sie verraten ein Weltbild, das mit der biblischen Botschaft, Gott habe alle Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen, unvereinbar ist. Und man muss nicht fromm sein, um dieses Prinzip als die Grundlage jeglichen menschlichen Miteinanders anzuerkennen. Das aber tut Sarrazin nicht, denn nur als Rassist kann man „Türken und Araber“ verächtlich in den Berliner Gemüsehandel verweisen. Und wie viel Menschenhass muss jemand wie Sarrazin empfinden, der ganze Menschengruppen als Unterschicht definiert und ihr Recht auf Fortpflanzung infrage stellt? Der Arbeitslose wie Alleinerziehende, Türken wie Araber in einen Topf wirft und stigmatisiert?

Der Ton, so die bekannte Redensart, macht die Musik. Auch bei Thilo Sarrazin lohnt es sich, in den Ton hineinzuhören, um zu begreifen, welche Register er zieht. Ihn stören die „kopftuchtragenden Mädchen“ aus moslemischen Familien. Vor genau 130 Jahren schrieb Heinrich von Treitschke, wütiger deutscher Antisemit des 19. Jahrhunderts: „Über unsere Ostgrenze aber dringt Jahr für Jahr aus der unerschöpflichen polnischen Wiege eine Schar strebsamer hosenverkaufender Jünglinge herein.“ Gemeint waren Juden. Ob „kopftuchtragende Mädchen“ oder „hosenverkaufende Jünglinge“: Die Melodie ist auf erschreckende Weise gleich. Von demselben Treitschke stammte übrigens der später vom „Stürmer“ zum Motto erhobene Spruch: „Die Juden sind unser Unglück.“

Da hilft auch Sarrazins plumpe Anbiederung nicht, osteuropäische Juden hätten einen um fünfzehn Punkte über dem Durchschnitt liegenden Intelligenzquotienten. Die Integrationsprobleme, die die deutsche Gesellschaft im frühen 21. Jahrhundert plagen, sind sozialen und kulturellen Ursprungs, nicht aber genetisch bedingt. Eine genetische Einteilung der Menschheit in Superkluge und Dumme, Nutzbringende und Nutzlose, Oberschicht und Unterschicht – das ist Rassismus pur. Und mit Rassismus wird Deutschland die Integrationsprobleme nicht etwa lösen, sondern sie verschärfen. Am Ende droht sich die rassistische Weissagung der Sarrazins selbst zu erfüllen. Auch deshalb sind die deutsche Politik und Gesellschaft aufgefordert, dem Rassismus eine klare Abfuhr zu erteilen. Wir brauchen keine menschenverachtenden Stammtischparolen, sondern eine Debatte, die Probleme nicht nur nennt, sondern auch deren Lösung sucht. Bessere Bildung ist ein Muss. Gewiss, Integration ist nicht nur eine Bringschuld der Mehrheit, sondern auch eine Holschuld der Minderheit. Toleranz hier, Integrationswilligkeit dort: Nur auf dieser Grundlage kann eine tragfähige Brücke für die Begegnung von Menschen aus nichtidentischen Kulturkreisen entstehen.

Der Autor ist Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland.

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