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MEIN Blick: Wer oder was antisemitisch ist

Im Streit zwischen Henryk M. Broder und Evelyn Hecht-Galinski hat das Kölner Landgericht geurteilt, dass der Vorwurf des Antisemitismus nicht schlechthin verboten sei, sondern mit dem erforderlichen Sachbezug durchaus zulässig ist. Das Urteil ist klug.

Bei Gefahr und Not bringt der Mittelweg den Tod, heißt eine populäre Spruchweisheit. Dass sie nicht immer stimmt, hat jetzt das Kölner Landgericht in der Auseinandersetzung zwischen Henryk M. Broder und der Tochter des früheren Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, Evelyn Hecht-Galinski, bewiesen.

Der Antisemitismus-Vorwurf, so konnte man es kürzlich in der „FAZ“ lesen, „eignet sich zum moralischen Totschlag. Wer die Beschreibung seines Gegners als eines Antisemiten durchsetzen kann, hat ihn aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen“. Doch gerade weil die Redefreiheit in Deutschland „de jure und de facto geschichtspolitisch beschränkt ist“, bedarf diese Einschränkung einer genauen und nachvollziehbaren Grenzlinie.

Und so haben die Richter der 28. Zivilkammer des Kölner Landgerichts geurteilt, dass der Vorwurf des Antisemitismus nicht schlechthin verboten sei – wie und weshalb auch? – vielmehr mit dem erforderlichen Sachbezug durchaus zulässig ist. Also nicht nur die im vorliegenden Falle von Broder geübte Schmähkritik haben die Richter kritisiert, sondern den fehlenden Sachbezug bemängelt.

Und hier liegt der Hase im Pfeffer: Broders Definition von Antisemitismus oder Antizionismus, für ihn zwei Seiten derselben Medaille, ist – ausweislich seiner Expertenanhörung vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages – eine höchst ambivalente. Denn nicht die rassische oder religiöse Verfolgung des oder der Juden ist für ihn ausschließlich antisemitisch, sondern antisemitisch sind für ihn alle Einwände gegen die Existenz Israels als staatlicher jüdischer Gemeinschaft; also nicht das „So sein“, sondern das „Dasein“ sollte unter geschichtspolitischen und gesellschaftlichen Schutz gestellt werden.

Dies klingt eindeutig und könnte sofort von jedem billig und gerecht Denkenden akzeptiert werden, gäbe es da nicht jene Unschärfen, an denen sich auch der Streit mit Hecht-Galinski entzündet hat. Schließlich ist das gelobte Land des Zionismus nie definiert worden. Steht also nur das Israel von 1948, das von 1967 oder gar das Israel, wie es sich die frommen Juden wünschen, unter gesellschaftlichem Schutz? Ist wirklich der in Amerika aufgekommene Vorwurf einer politischen Israel-Lobby schon Antisemitismus wie Broder meint, oder sind es erst jene nicht immer geschmackvollen Vergleiche zwischen Mauer und Ghetto auf der einen und der Behandlung der Palästinenser auf der anderen Seite?

Immerhin konnte man kürzlich von Rafael Seligmann lesen, dass die Forderung, die besetzten Gebiete zu räumen, mit der Forderung an Tschechien und Polen zu vergleichen sei, das Egerland oder Schlesien preiszugeben. Wer das aber in Deutschland heute tut, wird zu Recht aus der politischen Diskussion verbannt. Es ist in einer freien Gesellschaft immer problematisch, den öffentlichen Diskurs einzuschränken, und nur ganz überragende Werte und Güter des Zusammenlebens können das rechtfertigen.

Wenn also der Antisemitismus eine solche Quarantäne erforderlich macht, dann sollte in einer fairen und offenen Diskussion vorher Einverständnis erzielt werden, wer oder was antisemitisch ist. Veränderbare politische Ziele und Interessen eines anderen Staates können dazu nicht gehören. Die Weisheit der Richter von Köln war vielleicht größer, als sie selbst wussten.

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