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Kontrapunkt: Wie ein Skandal gemacht wird

Wer die „Zehn Goldenen Regeln“ einer Affäre beherrscht, hat Medien-Macht, meint Malte Lehming. Die Öffentlichkeit wird dann zur Manipulationsmasse. Auch bei Präsidenten.

Es war einmal ein Präsident. Er stammte aus einfachen, gleichwohl schwierigen Verhältnissen. Er kämpfte sich hoch und kam, an Alter noch sehr jung, ins höchste Amt. Rasch wurden seine Frau und er beliebt. Doch dann überzog man sie mit Affären. Die Vorwürfe prasselten schneller auf das Präsidentenpaar ein, als es sich wehren konnte. Und wie so oft, so war es auch diesmal: Nicht der Inhalt eines Skandals wurde dem Präsidenten zum Verhängnis, sondern sein eigener Umgang damit.

Der Präsident log, vor der Öffentlichkeit und sogar unter Eid. Ein Untersuchungsausschuss wurde eingerichtet, ein Amtsenthebungsverfahren in die Wege geleitet. Am Ende blieb Bill Clinton im Amt. Seine Frau ist heute Außenministerin. Die deutsche Presse war damals auf seiner Seite. Die Lewinsky-Affäre beobachtete sie mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination. Sie lernte einerseits, was eine „character assassination“ ist, andererseits, wie man eine solche betreibt. Eine ganze Nation wochen- und monatelang um dieses eine Thema kreisen zu lassen: War das nicht auch eine hohe Kunst?

Man schickte Kundschafter aus, und die wurden fündig. Die Murdoch-Gruppe hatte eine Anleitungs-Broschüre erarbeitet mit dem Titel: „The Making of a Scandal“. Da stand alles drin. Unter anderem enthielt sie die „Zehn Goldenen Regeln für die erfolgreiche Inszenierung eines Skandals“. Es lohnt, diese zehn Regeln kurz in Erinnerung zu rufen:

1. Falls Du keine Enthüllungs-Konkurrenz befürchten musst, warte mit der Veröffentlichung auf eine nachrichtenarme Zeit. Gut ist der Beginn der Sommerferien, perfekt die Weihnachtszeit. Mangels anderer Themen gibt es hier die größtmögliche Resonanz.

2. Verschieß’ Dein Pulver nicht gleich beim ersten Mal. Strecke und dosiere die Geschichte so, dass der Leser das Gefühl bekommt, er habe erst die Sitze des Eisbergs gesehen. Das erzeugt Neugier und garantiert eine längere Haltbarkeit.

3. Ideal ist, wenn sich der Angegriffene zum Zeitpunkt der Lancierung auf Urlaub oder Dienstreise befindet. Dann kann er sich nicht unmittelbar zur Wehr setzen, sondern hinkt dem Skandal hinterher, der dadurch eine Eigendynamik bekommt.

Die Proteste gegen Christian Wulff in Bildern:

4. Suche Komplizen! Ein einzelnes Medium ist für eine Kampagne zu schwach. Füttere also die Konkurrenz recht bald mit Exklusiv-Informationen, damit sie in die Geschichte einsteigt. Ohne andere willige Vollstrecker – insbesondere auch in den elektronischen Medien – laufen Affären schnell leer.

5. Weil immer etwas hängen bleibt, gib nach der ersten großen Welle Umfragen in Auftrag, die belegen, dass der Angegriffene an Ansehen verliert. Das beschleunigt dessen Negativspirale. Anschließend musst Du Politiker finden (jeder Hinterbänkler ist willkommen), die seinen Rücktritt fordern. Dann kannst Du tagelang titeln „…immer stärker unter Druck“.

Das Thema spielt keine Rolle mehr

6. Dauert die Kampagne bereits lange genug, spielt das Ursprungs-Thema keine Rolle mehr. Dann kann das Zusatzargument gebracht werden, dass die Debatte das Amt selbst beschädigt.

7. Komme mit immer weiteren Vorwürfen. Dabei zählt nicht Qualität, sondern Quantität. Kann sie der Angegriffene schon aus Zeitgründen nicht sofort entkräften, lässt sich ihm Salamitaktik vorwerfen (hinkt der Aufklärung hinterher, gibt nur zu, was ohnehin bekannt ist).

8. Streue immer mal wieder Gerüchte, dass es da noch mehr „im persönlichen Umfeld“ des Angegriffenen gebe, das enthüllt werden könnte. Das verstärkt das Misstrauen gegen diesen und hält den Spannungslevel konstant hoch.

Mögliche Wulff-Nachfolger in Bildern:

9. Starte nach etwa zwei bis drei Wochen die Nachfolge-Diskussion. Das erzeugt das Gefühl, der Rücktritt des Angegriffenen sei schon beschlossene Sache und nur noch eine Frage der Zeit.

10. Sollte die Person wider Erwarten jetzt immer noch im Amt sein und Du Dein Pulver verschossen haben, konzentriere Dich ausschließlich auf die Charakter-Frage (Pattex-Politiker, klammert sich ans Amt, ist ehrlos, hat keine Würde mehr).

Längst ist das Pamphlet „The Making of a Scandal“ ins Deutsche übersetzt, es kennt fast jeder Volontär. Die Frage, ob das stimmt und ob es diese Broschüre wirklich gibt, ist dabei weniger wichtig als die Tatsache, dass es so sein könnte.

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