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Zwei Welten: Junge Musliminnen sind die ersten und schwächsten Opfer der Integrationsverweigerung.

© dpa

Kontrapunkt: Zwangsheirat: Endlich ausdrücklich verboten

Tissy Bruns erklärt in ihrem heutigen "Kontrapunkt", warum das neue Gesetz gegen Zwangsheiraten keine Kosmetik ist, sondern überfällig - und die Grünen mit ihrer Kritik unrecht haben.

Zwangsheiraten sind nicht erlaubt in Deutschland. Sie können als „schwere Nötigung“ juristisch geahndet werden, die Höchststrafe liegt bei fünf Jahren. Die Grünen kritisieren deshalb die gesetzliche Neuregelung der Zwangsheirat als bloße „Kosmetik“, die heute von der schwarz-gelben Bundesregierung - als Teil des Gesetzentwurfs zur Integration - beschlossen worden ist. Tatsächlich ändert sich am Strafmaß nichts. Doch die Zwangsheirat wird zum eigenen Straftatbestand – und das ist keine Kosmetik, sondern überfällig. Sie wird endlich ausdrücklich verboten. Der humane Gehalt der gesetzlichen Neuregelung wird zudem in einer zweiten Neuregelung deutlich: Junge Frauen, die hier ausgewachsen sind und in der Türkei in eine nicht gewollte Ehe gedrängt werden, erhalten ein Rückkehrrecht nach Deutschland, das zehn Jahre gilt. Bisher ist es nach sechs Monaten erloschen.

Recht wirkt auch durch seine Normen, nicht nur wegen der Strafen, die es verhängen kann. Darauf haben die Grünen Wert gelegt, als sie um schwierige gesetzliche Neuregelungen wie die Vergewaltigung in der Ehe oder zur elterlichen Ohrfeige gekämpft haben. Vergewaltigung in der Ehe oder Gewalt gegen Kinder seien durch andere Gesetze ohnehin unter Strafe gestellt, lauteten damals die Einwände. Und problematisch sei überdies, dass die juristische Verfolgung regelmäßig an der Lebenswirklichkeit scheitern würde. Beide Einwände hatten ihren wahren Kern, so wie es einen wahren Kern hat, dass die Strafverfolgung der Zwangsheirat, ob nun als Nötigung oder als eigener Straftatbestand, schwierig ist und bleiben wird.

Trotzdem war es richtig, die Vergewaltigung in der Ehe und körperliche Gewalt als Erziehungsmittel ausdrücklich zu verbieten. Heute bezeichnen wir es als „rückständige Erziehungsmethoden“, wenn türkische oder deutsche Väter ihre Söhne prügeln. Darin spiegelt sich auch die normative Wirkung von Recht und Gesetz. Es ist noch nicht sehr lange her, dass der Satz „Eine Ohrfeige hat noch nie jemandem geschadet“ der deutsche Mainstream in Erziehungsfragen war. Oder die mütterliche Ankündigung „Warte nur, bis Vati nach Hause kommt“ als Ankündigung einer Tracht Prügel verstanden werden musste.

Das ausdrückliche Verbot von Zwangsheiraten kann einen ähnlichen Wandel einleiten, weil es die Mädchen und Frauen stärkt, die potentiell oder tatsächlich Opfer von Haltungen werden, die ihre Eltern aus ihren kulturellen Traditionen mitbringen. Erzwungene Ehen verletzten den Kern des freiheitlichen Rechtstaates, sie widersprechen Artikel 1, 2 und 3 des Grundgesetzes. Die Gleichgültigkeit, mit der die so genannte Mehrheitsgesellschaft über Jahrzehnte hingenommen hat, dass mitten in unserer Gesellschaft Grundrechte verletzt werden, ist eine der wichtigsten Ursachen für unsere Integrationsprobleme. Denn zur Integration in unser Werte- und Grundrechtssystem kann doch nur glaubhaft auffordern, wer ihre Verletzungen nicht tatenlos hinnimmt.

Die ersten und schwächsten Opfer von Integrationsverweigerung waren und sind junge muslimische Mädchen. Eine jahrzehntelange Dickfelligkeit vereint die „Multikultis“ auf der rot-grünen Seite und die schwarzen Realitätsverweigerer, die den Tatbestand der Zuwanderung zu lange geleugnet haben. Die einen dachten: Wird schon alles gut gehen. Die anderen: Die werden schon wieder fortgehen. Entgegengesetzte Haltungen, doch gleiche Wirkung. Migranten wurden weder gefordert noch gefördert. Und erst recht nicht Migrantinnen.

Sie stehen wie niemand sonst im Feuer der Konflikte zwischen tradierten Rollenerwartungen ihrer Familien und den Selbstbestimmungsversprechen unserer Gesellschaft. Sie haben am meisten zu verlieren, wenn sie sich ungewollten Rollenwartungen nicht entziehen können. Sie sind aber auch die Hoffnungsträgerinnen der Integration. Denn sie haben am meisten zu gewinnen, wenn sie gelingt. Nämlich die Freiheiten, die ihren deutschstämmigen Schwestern selbstverständlich sind, die selbst bestimmte Entscheidung über Berufswahl, Liebe, Ehe, Kinderwünsche. Deshalb ist das ausdrückliche Verbot der Zwangsheirat richtig. Nicht nur als Botschaft an diese Mädchen und Frauen, sondern als eine an alle Menschen in diesem Land gerichtete Aufforderung zur Achtung unserer Grundwerte.

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