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In der Währungskrise gilt Angela Merkels Solidarität hauptsächlich den Gläubigern der Banken, von denen viele in Deutschland sitzen.

© dpa

Kontrapunkt: Merkels Eurostrategie: Dumm stellen und irreführen

Angela Merkel verweigert die Einsicht, dass es unmöglich ist, die überschuldeten Eurostaaten allein mit Sparmaßnahmen zu sanieren. Stattdessen leitet sie Bürger und Wähler mit sinnlosen Versprechen in die Irre.

Zwei Sätze. Zwei vage formulierte Sätze, das ist die ganze Antwort der europäischen Regierungschefs auf die fundamentale Krise der europäischen Gemeinschaftswährung. Demnach „können“ die Eurostaaten „einen Stabilitätsmechanismus schaffen, der aktiviert wird, wenn dies unerlässlich ist, um die Stabilität der Eurozone als ganzes zu sichern.“ Und: „Die Bewilligung finanzieller Hilfen wird unter strikte Bedingungen gestellt.“ Um diesen Passus soll der EU-Vertrag, also die Verfassung des europäischen Staatenbundes, ergänzt werden, um den bestehenden „Rettungsschirm“ für überschuldete Euro-Länder nach dessen Auslaufen im Juni 2013 zu verlängern. Dieser Schritt, so kündete die deutsche Kanzlerin, sende ein „klares und entschiedenes Signal“ an die Finanzmärkte „für eine stabile Währung“ und demonstriere ein „Riesenstück Solidarität unter den Euro-Staaten“.

Klares Signal? Solidarität?  Schön wär’s. Das genaue Gegenteil ist richtig. Statt eine langfristige Lösung für die Stabilität der Eurozone zu entwickeln, haben die Regenten des Euro de facto beschlossen, die Krise weiter eskalieren zu lassen, bevor sie irgendetwas tun wollen. Es gibt keinen Plan, der es Griechenland, Irland und Portugal erlauben würde, ihre Schuldenlast zu mindern und ihre Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Es gibt kein Konzept, wie die Gläubiger, also Banken, Versicherungen  und Fondsgesellschaften aller Art für ihre Fehlinvestitionen in diesen Ländern an der Sanierung beteiligt werden sollen. Erst recht völlig unklar ist, was geschehen soll, wenn auch Spanien, Belgien und Italien keine Kredite mehr zu bezahlbaren Konditionen bekommen können und der bestehende Rettungsschirm nicht ausreicht.

Und die Hauptschuld dafür liegt bei Angela Merkel. Konsequent verweigert sie seit Monaten die Einsicht, dass es unmöglich ist, die überschuldeten Staaten allein mit Sparmaßnahmen zu sanieren. Stattdessen stellt sie sich dumm und leitet Bürger und Wähler mit sinnlosen Versprechen in die Irre, die mit Sicherheit nicht zu halten sind. Das beginnt schon mit ihrer am Donnerstag im Bundestag aufgestellten Behauptung, eine „Vergemeinschaftung der Risiken“ und eine damit einhergehende Transfer-Union dürfe es nicht geben. Darum seien die von Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker geforderten  Gemeinschaftsanleihen aller Eurostaaten abzulehnen. Tatsächlich sind diese aber längst beschlossene Sache. Denn genau mit solchen Anleihen, für die alle Eurostaaten gemeinsam bürgen, wird die Union jene rund 45 Milliarden Euro finanzieren, mit denen Irlands Staatshaushalt ab Januar gestützt werden soll. Wenn Portugal, Belgien und Spanien den gleichen Weg gehen, wird es am Ende Gemeinschaftsanleihen im Volumen von 450 Milliarden Euro geben, für die dann selbstverständlich auch die deutschen Steuerzahler haften.

Dabei geht es aber keineswegs um „Solidarität“, wie Merkel behauptet. In Wahrheit haben sie und ihre Kollegen sowie ihre Finanzminister die irische Regierung dazu gedrängt, für alle ausstehenden Schulden der irischen Banken zu garantieren, mit denen diese Tausende von Immobilien finanzierten, für die es nun keinen Markt mehr gibt und darum all die Kredite faul werden. Merkels Solidarität gilt also keineswegs der irischen Bevölkerung, sondern den Gläubigern der Banken, die wiederum zu großen Teilen in Deutschland sitzen. Die jüngst von einem Insider veröffentlichte Liste der Gläubiger der nun faktisch verstaatlichten Anglo Irish Bank zeigt deutlich, wer die Begünstigten sind. Insgesamt haben deutsche Banken bei ihren irischen Wettbewerbern nach Angaben der Bundesbank 43 Milliarden Euro im Feuer. Der irische Staat selbst schuldet Deutschlands Geldhäusern dagegen lediglich 2,4 Milliarden Euro. „Niemand wird in Europa allein gelassen“, kündete die Kanzlerin jüngst im Bundestag. Für viele Iren, die genauso wie ihre griechischen Leidengenossen nun mit harten Lohn- und Rentenkürzungen bei gleichzeitig massiv erhöhten Steuern kämpfen, während ihre Regierung deutsche Banken auszahlt, muss das wie Hohn klingen.

So erweist sich die von Merkel geforderte Beteiligung der Gläubiger in der Praxis als bloße Propaganda. Denn sie soll frühestens ab 2014 für die dann neu aufgenommen Staatsanleihen gelten, die dann natürlich umso höher verzinst werden müssen. Bis dahin aber wird die „Rettung“ der Krisenstaaten darin bestehen, dass ihre bisherigen Schulden bei privaten Gläubigern nach und nach auf die Steuerzahler der solventen Staaten der Eurozone übertragen werden. Gleichzeitig ist aber völlig klar, dass ein zumindest teilweiser Erlass der Schulden eher früher als später unausweichlich ist. Darin sind sich beinahe alle führenden Ökonomen im In- und Ausland unabhängig von ihrer sonstigen politischen Ausrichtung völlig einig.

Kenneth Rogoff, ehemals Chef-Ökonom des Internationalen Währungsfonds, warnte gar, der Eurozone drohe ähnlich wie einst den überschuldeten Staaten Lateinamerikas ein „verlorenes Jahrzehnt“ des Niedergangs, wenn der Schuldenschnitt nicht schnell komme. Auch dort kamen einst die Volkswirtschaften erst wieder in Tritt, nachdem es ihnen mit Hilfe der US-Regierung gelang, ihren Gläubigern einen Schuldenerlass abzuhandeln.

Die von Merkel und ihrem französischen Partner Nicholas Sarkozy verordnete Spar-Strategie läuft dagegen darauf hinaus, dass die Rückzahlungsfähigkeit der Schuldenstaaten fortwährend weiter untergraben wird, weil die Kürzungen auf Kosten der Bevölkerung am Ende mehr Steuereinnahmen kosten, als an Ausgaben eingespart werden kann. So ist völlig klar, dass an einem wie auch immer gestalteten Finanzausgleich zwischen den Eurostaaten kein Weg vorbeiführt, wenn der Euro und mit ihm das ganze europäische Projekt nicht scheitern sollen. Die einst von den Euro-Gründern erhoffte Förderung der politischen Integration Europas, die sie dann aber selbst nicht angingen, jetzt wird sie zwingend nötig. Sicher, dafür ist die bisherige Verfassung der EU mit ihrer Hinterzimmergesetzgebung in den Räten der nationalen Interessenvertreter völlig unzureichend. Ohne eine umfassende Demokratisierung der EU-Institutionen einschließlich einer Wahl der EU-Kommission durch das Parlament oder die Bürger direkt wäre die Übertragung von Vollmachten zur gemeinsamen Steuer- und Haushaltspolitik nach Brüssel undemokratisch und schlicht grundgesetzwidrig. Umso wichtiger wäre es, die überfällige Gründung einer echten politischen Union jetzt anzugehen. Die Stunde der Wahrheit rückt näher, dumm stellen hilft nicht.

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