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In der Krise stellt sich Deutschland immer als Saubermann dar. Das ist unehrlich.

© dpa

Merkels Krisenpolitik: Nie ein Wort über die kollektive Verantwortung

Seit Jahren heizt die Bundesregierung mit Schuldzuweisungen quer durch Europa die anti-europäische Ressentiments an. Ein paar ehrliche Worte würden Europa - und Angela Merkel - gut tun.

Griechenland stürzt in den wirtschaftlichen Abgrund. Portugal und Irland sind auf dem Weg in die Verarmung. Spanien droht der Bankenkollaps und ganz Europa steht vor einer schweren Rezession. So ist nicht mehr zu leugnen, dass die von der Regierung Merkel verfochtene Politik der Krisenbekämpfung per „Haushaltsdisziplin“ gescheitert ist. Vielmehr ist genau das eingetreten, was gerade in Deutschland schon seit den Zeiten von Reichskanzler Brüning ein bekanntes Muster ist: Wenn in Volkswirtschaften, deren private Unternehmen und Haushalte überschuldet sind und deshalb sparen müssen, auch der Staat die Ausgaben kürzt und die Massensteuern erhöht, bevor das Wirtschaftswachstum wieder eingesetzt hat, dann beschleunigt dies den Niedergang und die Verschuldung eskaliert noch.

Die damit wachsende Zinslast wird nun zusehends zur sich selbst erfüllenden Prognose vom Kollaps. In einer Währungsunion ohne Finanzausgleich und gemeinsame Haftung wird dies früher oder später den Ausstieg der betroffenen Staaten aus dem Euro erzwingen, und das gilt nicht nur für Griechenland. Käme es aber auch in weiteren Euro-Staaten dazu, wäre eine harte wirtschaftliche Schrumpfung auch der bisher stabilen Länder unvermeidlich. Schon jetzt bremst die Unsicherheit über die Zukunft des Euro jede größere Investition. Wenn erst mal Millionen Verträge nicht mehr erfüllt und Kredite im Billlionenwert faul werden, könnte die folgende wirtschaftliche Not Europa in den Grundfesten erschüttern.

Ein solches Szenario kann und will keine europäische Regierung riskieren. Darum ist es nur folgerichtig, dass jetzt – nach Jahren des Aufschiebens – endlich über echte Reformen verhandelt wird, also eine neue Verfassung für die Euro-Zone, so wie es die Präsidenten der Europäischen Zentralbank, der EU-Kommission und des Europäischen Rates in dieser Woche den Euro-Regenten vortragen wollen. Ihre Vorschläge reichen von der Einrichtung einer mit allen Vollmachten ausgestatteten zentralen Bankenaufsicht über eine in Brüssel zentralisierte Haushaltskontrolle bis zur harmonisierten Mindestbesteuerung von Kapitalerträgen. Vor allem aber sollen die Staatsschulden über einen Tilgungsfonds vergemeinschaftet werden, um die Zinslast in den Krisenländern zu senken.

Doch alle diese Vorschläge sind völlig unvereinbar mit der bisherigen, vordemokratischen Ordnung der EU-Institutionen. Zu Recht hat Finanzminister Schäuble darum gefordert, dass die Übertragung von so viel Hoheitsgewalt nach Brüssel mit der Einrichtung einer direkt gewählten EU-Kommission und folglich einer grundlegenden Änderung der jeweiligen nationalen Verfassungen einhergehen müsse, die auch in Deutschland nur per Volksabstimmung möglich wäre. Diese Offenheit ehrt den überzeugten Europäer Schäuble.

Dumm nur, dass es seine Regierung ist, die seit Jahren durch falsche Schuldzuweisungen quer durch Europa die nationalen Ressentiments so angeheizt hat, dass die Erzielung der Mehrheiten in den notwendigen Referenden höchst fraglich ist. Zwar waren es deutsche und französische Konzerne, die in Griechenland hemmungslos geschmiert und dem Land Rüstungsgüter im zweistelligen Milliardenwert verkauft haben, die es sich nie leisten konnte. Zwar waren es vor allem deutsche Investoren, welche die Immobilienblasen in Irland und Spanien finanziert haben und nun mit den vermeintlichen Rettungskrediten freigekauft werden. Zwar waren es die Regierungen Deutschlands und Frankreichs, die den Stabilitätspakt aufgeweicht haben und dafür sorgten, dass die EU-Kommission nicht so genau hingucken konnte. Aber über all das, also die kollektive Verantwortung aller Euro-Länder für die Schuldenmisere, verloren Schäuble und seine Kanzlerin nie ein Wort und dekretierten stattdessen bloß das Versagen der anderen, für das nur diese Nationen und ihre Bürger zu zahlen hätten. Jetzt aber läutet die Stunde der Wahrheit – sowohl für den Euro als auch für die Regierung Merkel. Besser sie macht sich ehrlich, bevor es mangels Zustimmung der Bürger zu spät ist.

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