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Gastkommentar: Mörder, nicht Muslime

Die USA verabschieden sich vom Begriff des "radikalen Islam". Regierung und Medien stehen in der Verantwortung, den richtigen Ton zu treffen.

In der jüngst veröffentlichten „National Security Strategy“, dem sicherheitspolitischen Standardwerk der US-Regierung, hat diese sich vollständig von Begriffen wie „radikaler Islam“ und „islamistischer Terrorismus“ verabschiedet. Das 55-seitige Dokument nennt den Islam gerade zweimal, aber nur, um zu betonen, dass man keinen Krieg gegen den Islam führe. Dieser Wandel in der Wortwahl hatte gegen Ende der Regierung Bush begonnen, Obama hat ihn konsequent weitergeführt.

In Großbritannien meidet die Regierung Begriffe wie Dschihad, Mudschaheddin, islamischer oder islamistischer Terrorismus oder auch nur Islam in Verbindung mit Al Qaida und Konsorten. Vielmehr wird Osama bin Ladens Truppe als Mörderbande porträtiert, die jeden zur Zielscheibe erklärt, der ihren Forderungen im Weg steht: Muslim, Christ, Jude oder Atheist. Dahinter stecken weder Political Correctness noch Schönfärberei. Obama hat erkannt: Wer die Worte Islam und Terrorismus ständig verbindet, besorgt ungewollt das Geschäft der Extremisten.

Wie das? Wenn Regierungen und Medien die Wortwahl der selbst ernannten Gotteskrieger im Kern übernehmen, legitimieren sie das Misstrauen der Nichtmuslime gegenüber den Muslimen. Dies soll laut Plan der Extremisten dazu führen, dass sich Muslime, mit Stereotypen und Vorurteilen überhäuft, von der Mehrheitsgesellschaft ab- und den Extremisten zuwenden. Natürlich sind all jene, die als Islamisten oder islamistische Terroristen bezeichnet werden, Muslime. Aber ist es deshalb klug, den Islam vor jede Gräueltat zu spannen, nur weil die Täter behaupten, im Namen dieser Religion zu handeln?

Der Islam mit seinen 1,3 Milliarden Gläubigen ist eine dezentrale und diversifizierte Religion ohne Oberhaupt und verbindlichen Regelkanon. Der Gläubige steht in direkter Verbindung zu Gott. Geistliche und Vorbeter helfen bei der Interpretation des Korans und der Worte und Handlungen des Propheten – bindend sind ihre Predigten und Fatwas nicht.

Warum sich Menschen Organisationen wie Al Qaida, Hisbollah oder Hamas anschließen, hat meist sehr weltliche Beweggründe. Machtstreben und Geltungssucht, die Zugehörigkeit zu einer elitären Gruppe, das bisherige Leben hinter sich lassen zu können, sich einzuordnen in ein großes Ganzes, sind einige davon. Bildungsmangel und Armut spielen meist keine Rolle, die Mehrheit der Extremisten entstammt der gesellschaftlichen Mittelschicht. Wenn sich die schiitische Hisbollah und die sunnitische Al Qaida gegenseitig als Ungläubige bezeichnen, macht dies deutlich, dass die Religion meist nur für persönliche oder politische Ziele benutzt wird.

Die hierzulande gebräuchliche Differenzierung zwischen Islam als Religion und Islamismus als politisch-religiöser Ideologie wird in den USA verworfen, weil die Öffentlichkeit Schwierigkeiten habe, die „akademische Unterscheidung von Islam und Islamismus“ nachzuvollziehen. Bei der Diskussion um die richtige Wortwahl geht es eben nicht nur darum, ob gewählte Begriffe politologisch korrekt sind. Wichtiger ist, ob sie geeignet sind, das Problem in einer Art und Weise zu beschreiben, die aufklärt und Muslime nicht abstößt. Der Islam wird in Deutschland fast durchweg abwertend dargestellt: beim Kopftuch, dem Patriarchat, den Zwangsheiraten, den sogenannten Ehrenmorden, dem Terrorismus. Dabei bleibt meist ungeklärt, was davon wirklich mit Religion zu tun hat. Was bleibt, ist die unterschwellige These, dass etwas nicht in Ordnung sei mit dem Islam, dass er nicht zu „uns“ passe. Die Unschuldsvermutung driftet ab zum Schuldverdacht.

Sprache bildet die Welt. Deshalb ist der Versuch, den Extremisten die religiöse Legitimation vorzuenthalten und sie als politisch motivierte Mörderbande zu entlarven, richtig. Regierung und Medien stehen in der Verantwortung, den richtigen Ton zu treffen. Auch in Deutschland.

Der Autor ist Senior Fellow bei der European Foundation for Democracy in Brüssel.

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