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Mon Berlin: Der Mönchsnabel ist die Antwort auf den Plunder

Der Macaron ist so hübsch, dass man sich beinahe schuldig fühlt, wenn man ihn sich gierig in den Mund stopft. Kein Wunder, dass man ihn auch „Mönchsnabel“ nennt!

Ein Hochstapler macht sich daran, Berlin zu erobern. Schluss mit Madeleines, Croissants, Baguettes… der selbst ernannte Botschafter Frankreichs ist heute ein kleines rundes Teegebäck, glatt und fein wie Perlmutt mit seinen Pastellfarben, lindgrün, altrosa, zitronengelb, dazu ein Herz aus Sahnecreme: Der Macaron ist so hübsch, dass man sich beinahe schuldig fühlt, wenn man ihn sich gierig in den Mund stopft. Wie eine Hostie sollte man ihn auf die Zunge legen, andächtig, hingebungsvoll, mit geschlossenen Augen.

Kein Wunder, dass man ihn auch „Mönchsnabel“ nennt! Er ist fast zu schön, um gegessen zu werden. Wie unpassend, sich seine langsame Reise durch die Windungen des Verdauungsapparates vorzustellen. Denn in erster Linie ist der Macaron ein Kunstwerk. Mehr für die Augen als für den Dickdarm gedacht. Sein Hersteller wird nicht mehr mit dem groben Wort Patissier oder gar Bäcker bezeichnet. Er nennt sich „Schöpfer“, „un créateur de macarons“. „Nur für die Deko“, sagt ein Schild unter einer Glasglocke mit Macarons, das in meinem Wilmersdorfer Lieblingscafé Bellwinkel mitten auf dem Tisch steht.

Nur zum Gucken. Nicht zum Naschen. In ihrem Büro mit Blick auf die Seite des Reichstags hatte eine bekannte deutsche Fernsehmoderatorin eine Schale mit Macarons auf den niedrigen Tisch gestellt, an dem sie mich zu einem Interview empfing. Die Macarons halten nur zwei Tage, im Kühlschrank. Die hier protzten mit aller Kraft schon seit einer Woche.

Welcher Abgrund klafft zwischen diesem letzten Zipfel von Luxus und der sozialen Wirklichkeit meines von Krisen und Selbstzweifeln heimgesuchten Frankreichs. Angesichts des eingebildeten Schönlings sollte Berlin sich auf keinen Fall kleinmachen. Der Macaron lügt, wenn er vorgibt, den Zustand meines Landes widerzuspiegeln. Nur in den großen Patisserien an der Place de la Madeleine kann der Mythos Frankreichs als Hüterin der Raffinesse und des guten Geschmacks sich noch gegen den Schock von Globalisierung und Krise behaupten.

Allerdings warne ich davor, sich in der eigenen Küche an die Produktion von Macarons zu wagen. Der Macaron ist nicht dafür geschaffen. Schlechte Imitationen verträgt er nicht. Der Macaron ist der Mount Everest der Patisserie. Der höchste, schwierigste, gefährlichste Gipfel. So hübsch, so kostbar, so zerbrechlich, so zart schmelzend, so weich…er erinnert mich an die wunderschönen Weihnachtsplätzchen in den Sonderausgaben der Frauenzeitschriften, die am Ende des Sommers erscheinen, wenn es noch 24 Grad im Schatten ist und sich vor den italienischen Eisdielen abends lange Schlangen bilden.

Voller Übermut und Selbstvertrauen beschließt man an einem Nachmittag im Dezember nun doch, sich in das Abenteuer zu stürzen. Man beachtet die Anweisungen des Rezepts buchstabengetreu. Man dosiert gemahlene Mandeln und Puderzucker auf das Milligramm genau. Man verliert die Nerven nicht. Man beweist Fingerspitzengefühl und Delikatesse. Man verfolgt einen unerschütterlichen Optimismus. Vergebliche Mühe. Nie wird man den Gipfel erreichen. Man kommt bereits ins Rutschen, bevor man auch nur ein paar Meter bezwungen hat. Sisyphos hat sich in der Küche festgebissen. Ergebnis: Die Macarons verlassen den Backofen so platt und hart wie die Kieselsteine am winterlichen Strand von Brighton. Die schillernden Farben auf dem Foto sind in das Beige eines nebligen Nachmittags umgeschlagen. Wie viel schöner sind sie doch in den zartgrünen Dosen der Patisserie Ladurée.

Der Macaron ist die Upperclass-Version des „Mon Chéri“ in den 60er Jahren. Eine exklusive französische Süßigkeit. „Mon Chéri – Wer kann dazu schon Nein sagen“, so die Werbung. Verführerisch, unwiderstehlich. Nur, dass die Mon Chéri von der italienischen Firma Ferrero am Fließband hergestellt werden und sogar an der Tankstelle zu kaufen sind. Schon lange steht der schwarze Schokoladenwürfel nicht mehr für französisches Raffinement. Der Macaron dagegen! Welch trauriges Bild bietet die in Kirsch getauchte Piemontkirsche im Vergleich zum fantasievollen Reichtum der Macarons. Neben den Klassikern Erdbeere, Karamell, Schokolade, Vanille eine ganze Palette kühner Kreationen: Veilchen, Pistazie, oder auch gewagte Kombinationen: Pfirsich-Rose, Limone-Basilikum, Cassis-Lakritz, Praliné-Yuzen. Fragen Sie mich nicht, was Yuzen ist.

Der Macaron ist eine fragile und ganz besondere Miniatur. So chic und chichi, dass man darüber, wie ich zugeben muss, manchmal dem guten alten Sandkuchen, dem aufrichtigen Berliner Plunder mit Pudding nachtrauern könnte. Unkomplizierte, handfeste und verlässliche Genüsse, Spiegelbilder der deutschen Hauptstadt.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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