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Mut und Maulkorb: Merkels falsche Freiheit

Die Kanzlerin feiert einen dänischen Karikaturisten, der Mohammed mit einer Bombe zeichnet, und beschimpft einen US-Pastor, der den Koran verbrennen will. Nur: Wo ist der Unterschied? Ein Kommentar.

Die Reaktionen auf Angela Merkels Auftritt zu Ehren des Mohammed-Karikaturisten Kurt Westergaard sind, es überrascht nicht, gemischt. Die einen bewundern Merkels Mut, andere kritisieren den Widerspruch zum Maulkorb für Sarrazin, die Muslime selbst, auch das wundert nicht, kritisieren sie. Einig sind sich alle in einem Punkt: In der Zeit, in der in den USA eine international beachtete Koran-Verbrennung droht, ist es, vor dem Hintergrund des Karikaturenstreits mit seinen Toten, ein Risiko.

Angela Merkels Rede zur Pressefreiheit ist weitgehend ein Dokument schlüssigen Denkens. Vor allem kann man das an ihrer Abgrenzung zu Sarrazin studieren. Der Provokateur aus der Bundesbank klagt für sich Meinungsfreiheit ein, schließlich habe er das vertragliche Recht, privat Bücher zu schreiben. Ein naiver, ein törichter Anspruch, das weiß auch Merkel. Denn darum geht es nicht. Es geht darum, was in den Büchern steht und was einer sagt, wenn er sein Buch vorstellt. Im Dienstverhältnis wird Meinungsfreiheit klein geschrieben.

Wer als Angestellter laufend im Betrieb herumläuft und sagt, seine Chefs seien Stümper, macht von seiner Meinungsfreiheit Gebrauch. Rausgeschmissen wird er trotzdem. Je wichtiger der Job, desto sensibler die Verantwortung für die eigene, auch privat geäußerte Meinung. Ein Bundesbank-Vorstand, der dort nur sitzt, weil ihn ein Bundespräsident beruft, hat einen wichtigen Job. Fahrlässiges Gerede über Juden, Kopftuchmädchen, Gemüsetürken und Unterschichtenfruchtbarkeit fallen auf die Institution zurück. Dass Sarrazin das nicht zu begreifen scheint, lässt ihn unperfekter wirken, als er es nach eigener Intelligenzgendiagnose sein müsste.

Gleiches gilt für einen wichtigen Punkt der ansonsten durchdachten Merkel-Freiheitsrede. Die in den USA geplante Koran-Verbrennung nennt sie "respektlos, abstoßend und einfach falsch." Aber sie sagt nicht, warum. Stattdessen verteidigt sie die Karikatur Westergaards, "ob geschmackvoll oder nicht", als Ausdruck von schützenswerter Freiheit.

Wo ist, bei näherer Betrachtung, der Unterschied?

Die Karikatur Westergaards zeigt den Propheten Mohammed mit einer Bombe im Turban, darauf das islamische Glaubensbekenntnis, die Schahada; die Lunte brennt. Die Interpretation fällt leicht: Der Islam ist eine gewalttätige Religion, die uns töten will. So sieht es auch der Künstler, der den Schleier der Political Correctness beiseite ziehen wollte, wie er sagt. Pastor Terry Jones verbrennt am Jahrestag der Anschläge vom 11. September einen Haufen Koran-Exemplare. Auch hier fällt die Interpretation leicht: Der Islam ist eine gewalttätige Religion, die uns töten will. Auch Jones zieht den Schleier der Political Correctness beiseite.

Zwei Symbole mit identischen Aussagen. Beide sind, auch darüber wird man einig sein, platt, dumm und ressentimentgeladen. In Merkels Worten: Respektlos, abstoßend und einfach falsch. Doch warum ehrt eine Verteidigerin der Freiheit in einem Fall den Urheber, im anderen beschimpft sie ihn? Die Antwort fällt nicht leicht, aber sie muss wohl so aussehen: Weil Merkel, wenn sie von Freiheit redet, von ihrer Haltung spricht, ihrer Perspektive, ihrer Politik - aber nicht von der Freiheit, die für alle gilt. In Deutschland ist die Meinungsfreiheit ein hohes, im Grundgesetz geschütztes Gut; die Entwürdigung des Religiösen ist trotzdem strafbar. Nach dem Karikaturenstreit wurde hier ein Mann deswegen zu einer Haftstrafe verurteilt. Er hatte Klopapier mit der Aufschrift "Koran" vertrieben. Aussage hier: Mit dem Islam kann man sich den Hintern abwischen.

Was ist nun entwürdigender - als Gewalttäter und Mörder hingestellt zu werden? Oder als Klosettprophet? Und warum ehrt Frau Merkel nicht diesen Verurteilten und nimmt ihn vor deutschen Gerichten in Schutz? Weil er nur einen - dummen - Witz machte im Gegensatz zu Westergaard und Jones, die es Ernst meinen? Weil er sich lustig macht, statt sich zu fürchten? Und hätte Merkel Westergaard auch geehrt, wenn er, auch das gibt es in Dänemark, wegen Religionsbeschimpfung bestraft worden wäre? Die Dänen wenden die Vorschrift seit Jahrzehnten nicht mehr an, die Deutschen schon. Ein Missstand, Frau Merkel?

Freiheit ist immer die Freiheit dessen, der anders denkt, anders glaubt, anders redet und anders aussieht. Wer das nicht einsehen möchte, braucht nicht von ihr zu reden.

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