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Wahlkampfgeschenk der Grünen.

© dpa

Neuorientierung nach der Wahl: Bei den Grünen ist Verbieten ab jetzt verboten

Die Grünen haben die Wähler verschreckt. Es wird nicht reichen, wenn sie im nächsten Wahlprogramm einfach auf den Veggie-Day verzichten

Man müsse sich auch belehren lassen, mahnt der schwäbische Oberlehrer Winfried Kretschmann, und dürfe die Leute nicht nur belehren. Der baden-württembergische Ministerpräsident ist nicht der Einzige in seiner Partei, der nun die Besserwisserei der Grünen kritisiert. So etwas wie der Veggie-Day, die Forderung nach einem fleischfreien Tag in Kantinen, dürfe nicht noch einmal passieren, mahnen viele Redner auf dem kleinen Parteitag in Berlin, bei dem die Grünen nach den Ursachen für ihr Abschmieren bei der Bundestagswahl suchen. Der frühere Parteichef Reinhard Bütikofer fühlt sich an den umstrittenen Beschluss vor 15 Jahren erinnert, als die Grünen den Benzinpreis auf fünf Mark pro Liter anheben wollten.

Es ist sicher etwas dran: Im Wahlkampf kamen die Grünen nicht mehr als freiheitsliebende Partei rüber, wie der schleswig-holsteinische Energieminister Robert Habeck beklagt. Das liegt auch daran, dass sie den Eindruck erweckt haben, den Menschen vorschreiben zu wollen, wann und wie oft sie Fleisch essen dürfen. Statt die Gesellschaft mitzunehmen, ging es ums Rechthaben.

Das ist umso erstaunlicher, weil grüne Themen und ein grüner Lebensstil in den vergangenen Jahren mehrheitsfähig geworden sind. Den Grünen gelang es zwischenzeitlich, nicht nur ihre Stammwähler anzusprechen, sondern auch den porschefahrenden Biofleischesser oder die Unternehmerin mit ökologischem Gewissen. Seine Partei sei geradezu umzingelt gewesen von Freunden, sagt Habeck. Sie habe es aber geschafft, alle zu verjagen, stellt er ernüchtert fest.

Das Problem ist nur: Coolsein lässt sich nicht per Beschluss herbeiführen. Es wird nicht reichen, wenn die Grünen im nächsten Wahlprogramm auf den Veggie-Day verzichten. Oder wenn sie sorgfältig darauf achten, dass das Verb „verbieten“ nicht allzu häufig im Text vorkommt. Es muss mehr passieren, damit sie das Image der Verbotspartei erfolgreich ablegen können – und es wird dauern.

Natürlich hat Spitzenkandidat Jürgen Trittin grundsätzlich recht, wenn er darauf verweist, dass seine Partei mit einem ähnlich radikalen Programm 2009 ein Rekordergebnis erzielt hat. Auch damals traten die Grünen für höhere Hartz-IV-Sätze ein, für eine Garantierente, eine Vermögensabgabe, einen höheren Spitzensteuersatz und höhere Erbschaftsteuern. Im Wahlkampf boten sie ihren Anhängern aber in Zeiten der Wirtschaftskrise den „Green New Deal“ an, einen ökologischen Umbau der Wirtschaft, der viele neue Jobs bringen sollte. Und: Sie traten mit einem ganz anderen Habitus auf.

Trittin legte es im Wahlkampf auf Konfrontation mit der Wirtschaft an, seinen „Klassenkampf“ verteidigt er auch heute noch. Wer eine ökologische Energiewende hinbekommen will, muss aber die Unternehmen dafür gewinnen. Wer das Steuersystem ändern will, darf bisherige Lebensmodelle nicht verteufeln. Und wer die Parteigeschichte der Gründungsjahre wegen des Einflusses pädophiler Strömungen aufarbeiten muss, darf moralisch nicht überheblich sein.

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