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Anti-NSA-Protest: Angst vor der "United Stasi of America"

© dpa

NSA, Stasi & Co.: Warum die Deutschen gerne Opfer der Geheimdienste sind

Gestapo und Stasi, so heißt es, haben die Deutschen besonders empfindlich gegenüber dem Allmachtswahn von Geheimdiensten gemacht. Mag sein. Vielleicht aber gefällt ihnen auch nur die Opferrolle. Das spielt anderen in die Hände.

Es ist reiner Zufall. Ungefähr zur selben Zeit, als Christian Ströbele in Moskau bei Edward Snowden war, kam heraus, dass der Gestapo-Chef Heinrich Müller auf einem jüdischen Friedhof in Berlin bestattet wurde. Die Koinzidenz ist ein kurzes Nachdenken wert. Das Schlüpfen in die Opferrolle hat in Deutschland ja Tradition. Und die besondere Sensibilität in Bezug auf die Spionageaffäre wird oft erklärt mit der historischen Erfahrung der Deutschen in zwei Diktaturen. Gestapo und Stasi, so heißt es, hätten die Deutschen besonders empfindlich gegenüber dem Allmachtswahn von Geheimdiensten gemacht.

Entsprechend radikal klingt die Rhetorik. Von Totalausforschung ist die Rede, der „United Stasi of America“, dem Griff nach der digitalen Weltherrschaft, ja gar vom „Cyber-Faschismus“. Denn was wäre eine Antifa ohne einen Fa? Plötzlich ist Snowden nicht mehr nur Whistleblower, sondern ein Widerstandskämpfer in den Fußstapfen von Carl von Ossietzky, dem Herausgeber der „Weltbühne“, den die Nazis ins KZ gesteckt hatten.

Auch in diesem Narrativ sind die Deutschen in die Rolle der Opfer geschlüpft. Die logische Konsequenz aus dem „Nie wieder!“ wäre die kritische Frage nach der Arbeit der eigenen Geheimdienste. Halten die sich – etwa in Pakistan oder Afghanistan – an Recht und Gesetz? Achten sie überall die Menschenrechte, den Datenschutz und die Privatsphäre? Doch das interessiert keinen. Aus dem Nie-wieder-Böses-tun ist ein bequemes Nie-wieder-Böses-erleiden geworden. Grotesk wird dieser Identitätswechsel, wenn plötzlich Mitglieder der Linkspartei die „schlimmen Praktiken der Stasi“ geißeln, um die NSA kräftiger hauen zu können. Würde er noch leben, würde sich wohl auch Erich Honecker ungeniert als Opfer der amerikanischen Massenüberwachung stilisieren, nach dem Motto: Das erinnert mich an Bautzen. Und Heinrich Müller liegt auf einem jüdischen Friedhof.

Wie denken eigentlich die wirklichen Opfer der Gestapo, jüdische Überlebende und ihre Nachkommen, über die Spionageaffäre? In Israel etwa warnt man vor europäischer Hyperventilation. Der Stolz auf den nicht eben zimperlich agierenden Mossad ist dort Teil der Staatsräson. Und man hofft, dass dieser Mossad stets clever genug ist, Atomanlagen in Syrien und dem Iran aufzuspüren und die Mullahs mit zerstörerischen Computerviren zu ärgern.

Der Gewinner hinter der NSA-Empörung lautet Putin

Über Deutschland wiederum schreibt Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, in der „Jüdischen Allgemeinen“: Ein großer Teil der Juden verfolge die Art, wie hierzulande über Snowden diskutiert werde, mit Sorge. „Da wird ein Ton angeschlagen, der aus der Nachkriegsgeschichte bekannt ist: Amerika sei ein Besatzer, von dem man sich nichts mehr sagen lassen müsse. Und, plumps, sind die Deutschen wieder schmählich besiegt und keineswegs befreit worden. Juden haben bei solchen Tönen durchaus Grund zur Besorgnis, denn Antisemitismus ist davon nur wenige Gefühls- und Gedankenklicks entfernt.“

Malte Lehming ist Leitender Redakteur beim Tagesspiegel.
Malte Lehming ist Leitender Redakteur beim Tagesspiegel.

© Doris Spiekermann-Klaas

Dennoch ist das weit verbreitete Gefühl, von den Amerikanern gedemütigt worden zu sein, verständlich. Selten zuvor wurde den Deutschen ihre Schutz-, Wehr-, Arg- und Sorglosigkeit drastischer vor Augen geführt. „Wir wurden unfassbar erniedrigt“, lautet die Klage. Daher die Genugtuung, durch das Treffen Ströbeles mit Snowden – Amerikas Staatsfeind Nummer eins! – gewissermaßen Rache genommen und einen Teil der nationalen Ehre wieder hergestellt zu haben. Auch die Debatte über ein Asyl für Snowden in Deutschland dient in erster Linie dazu, den Amis eins auszuwischen, um selbst wieder in den Spiegel schauen zu können.

Außerdem ist vom eigenen Geheimdienst kaum Hilfe zu erwarten. Unlängst warnte der BND vor Klimawandel-Konflikten, gleichzeitig hält er die Versorgungssicherheit mit Öl und Gas für gewährleistet. Wie sagt John le Carrés Meisterspion Smiley? „Geheimdienste sind die einzig wahre Messgröße für den politischen Gesundheitszustand einer Nation, die einzig wahre Ausdrucksform ihres Unterbewusstseins.“

Und während in Deutschland eine große Koalition aus Cyber-Antifa, Big-Data-Apokalyptikern und ehrverletzten Nationalkonservativen kräftig gegen die NSA ins Horn bläst, reibt sich Wladimir Putin – der erfahrene, gerissene KGB-Mann – in Moskau zufrieden die Hände. Sein Traum, einen Keil ins transatlantische Bündnis zu treiben und den Westen zu spalten, wird endlich wahr.

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