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Die Opfer der NSU-Mordserie

© dpa

NSU-Prozess: Der Rechtsstaat muss Vertrauen zurückgewinnen

Zu befürchten ist, dass die Verhandlung im NSU-Prozess nicht weniger chaotisch verlaufen wird als die Akkreditierung der Journalisten. Das ist tragisch. Denn der Rechtsstaat muss in diesem Verfahren verlorenes Vertrauen wieder herstellen.

Von Frank Jansen

Das Land steht vor einer Zäsur. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik muss sich ein Gericht mit dem jahrelangen Amoklauf einer rechtsextremen Terrorgruppe befassen. Dass Neonazis fast 14 Jahre lang Deutschland mit Morden, Sprengstoffanschlägen und Raubüberfällen überziehen konnten, erschien bis zum Ende des NSU im November 2011 unvorstellbar. Jetzt muss das Oberlandesgericht München versuchen, fünf Angeklagten ihre Tatbeteiligung nachzuweisen. Deutschland steht ein aufwühlender Prozess bevor, und das vermutlich über Jahre hinweg.

Zu befürchten ist, dass die Verhandlung chaotisch verläuft, dass der 6. Strafsenat und die Prozessparteien den Überblick verlieren. Die Zahl der Angeklagten (fünf) und ihrer Verteidiger (elf) ist schon hoch, die der Nebenkläger (77) und ihrer Anwälte (53) noch viel höher. Kann das gut gehen? Wird nicht eine Lawine von Anträgen über die Richter hereinbrechen und die Prozessführung lähmen?

Der NSU-Prozess wird womöglich die bittere Einsicht erzwingen, dass die Teilnahme einer großen Zahl von Verbrechensopfern die Bestrafung von Verbrechern hinauszögert, ja behindert. Ausgerechnet in einem Verfahren, in dem die Angehörigen der Ermordeten und die überlebenden Opfer der NSU-Angriffe jahrelang gelitten haben. Weil sie harten Ermittlungen der Polizei ausgesetzt waren, weil sie und die Toten als potenzielle Mittäter galten – und weil sie bis zum November 2011 kaum Mitgefühl erfuhren.

Und als wollte der Rechtsstaat noch zeigen, wie sich Kälte anfühlt, hat der 6. Strafsenat vor Beginn des Prozesses einen beachtlichen Mangel an Sensibilität demonstriert. Bei dem schlecht kommunizierten Verfahren zur Platzvergabe an die Medien kamen zunächst türkische Journalisten zu kurz, obwohl acht türkischstämmige Migranten vom NSU ermordet wurden und weitere bei dem Nagelbombenanschlag in Köln schwere Verletzungen erlitten hatten. So musste das Bundesverfassungsgericht den Kollegen in München nahebringen, dass türkische Medien ein besonderes Interesse an einer Berichterstattung geltend machen können. Dies hat das OLG mit einer zweiten Platzvergabe berücksichtigt, doch deutsche Tageszeitungen verloren reihenweise ihre reservierten Sitze. Einen fairen Umgang mit der Öffentlichkeit bekommt der Strafsenat nicht hin.

Mit seinem Mangel an Sensibilität setzt sich der 6. Strafsenat dem Verdacht aus, die Dimension des Verfahrens nicht verstanden zu haben. So wurde viel Unmut geschürt und der Prozess ist schon vorab belastet. So gewinnt der Rechtsstaat nicht das Vertrauen zurück, das er nach den NSU-Morden eingebüßt hat.

Die Justiz hat sich schon mehrfach mit Terrorverfahren schwergetan. Bei den Prozessen gegen Mitglieder der Roten Armee Fraktion blieb oft unklar, wer gemordet hatte. Und das Hamburger Oberlandesgericht brauchte drei Anläufe, um Mounir al Motassadeq, einen Helfer der 9/11-Terroristen, rechtskräftig zu verurteilen. Das OLG München hingegen hatte in einem der wenigen Terrorprozesse, die seit der Wiedervereinigung gegen Neonazis geführt wurden, souverän agiert. Die Clique um Martin Wiese, die 2003 einen Bombenanschlag auf das Jüdische Zentrum München verüben wollte, wurde in einer einwandfreien Hauptverhandlung angemessen verurteilt. Da gab es allerdings keine Nebenkläger und jeder Journalist, der sich für den Prozess interessierte, konnte ungehindert berichten. Die Aussichten für den NSU-Prozess sind deutlich schlechter.

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