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Barbara John, Tagesspiegel-Kolumnistin und frühere Ausländer-Beauftragte des Berliner Senats.

© dpa

NSU-Prozess: Unsere Behörden hängen an Regeln von gestern

Deutschlands Bevölkerung wandelt sich - und wird internationaler. Wer das aber nicht kapiert hat, ist die staatliche Verwaltung. Der Umgang mit der NSU ist da nur ein Beispiel für einen generellen Stillstand.

Das Beständige ist der Wandel.“ Dieses Sprichwort, zugeschrieben Heraklit (5. Jahrhundert vor Christus), lässt heute niemanden mehr wirklich aufhorchen. Es ist zum ausgeleierten Gemeinplatz geworden. Und doch enthält es alles, was menschliche, ja kosmische Existenz ausmacht. Nichts bleibt, wie es ist. Ein Blick in den Spiegel genügt als Bestätigung. Was für jeden Menschen gilt, gilt auch für die von ihm geschaffenen Institutionen. Doch erleben wir gerade, am Fall der NSU-Morde und deren Folgen, dass wichtige öffentliche Institutionen wie die Sicherheitsbehörden und die Justiz das Gegenteil leben und verteidigen: Alles bleibt, wie es immer war.

Da werden in sieben Jahren neun Einwanderer, darunter acht türkischstämmige, mit derselben Waffe hingerichtet. Weil aber an keinem Tatort Bekennerbriefe auftauchen, könnten es auch keine Rechtsradikalen gewesen sein, denn die morden nicht ohne öffentliche Selbstanzeige, so die Schlussfolgerung der Behörden. An dem Blutbad konnten also nur die Einwanderer selbst schuld sein. So war es ja meistens.

Und da geben Ermittler Namenslisten von Rechtsradikalen nicht weiter. Haben wir oft so gemacht. Warum sollten wir das ändern? Da findet schließlich der Prozess gegen die Mittäter statt, für den sich die halbe Welt interessiert. Doch warum einen Weg finden, um auch türkische Medienvertreter zuzulassen? Das haben wir ja noch nie gemacht. Während Deutschlands Bevölkerung sich international weiterentwickelt, versteifen sich seine staatstragenden Einrichtungen auf Regeln von gestern. Ihren Stillstand rechtfertigen sie als Hort deutscher Beständigkeit; dabei fehlt ihnen in Wahrheit einfach jeder Sinn für den ständig zu gestaltenden Wandel.

Und wie reagieren darauf die neuen Deutschen, deren Vorfahren aus der Türkei stammen? Sie spüren, dass selbst die Mordserie der NSU-Täter die Abgrenzung vieler Deutscher ihnen gegenüber nicht verringert hat. Das erregt zurecht ihr Misstrauen, mag es auch hier und da zu undiplomatisch daherkommen. Unwichtig. Viel wichtiger ist es, gerade jetzt die immer noch errichteten Trennungen abzuräumen.

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