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NSU-Prozess in München.

© dpa

NSU-Verfahren in München: Ein Lernprozess

Der Richter Manfred Götzl geht zunehmend sensibel mit den Zeugen um: Im NSU-Verfahren holen die Richter Vertrauen in die deutschen Behörden zurück.

Von Frank Jansen

Die Aussage klang fast zu spektakulär, um wahr zu sein. Eine Zeugin hat im NSU-Prozess die Hauptangeklagte Beate Zschäpe so stark mit einem Mord der Terrorzelle in Verbindung gebracht, wie das bei keiner Aussage zuvor der Fall war. Doch es bleibt unklar, ob die Zeugin tatsächlich im April 2006 in Dortmund Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt beobachtet hat.

Womöglich haben sich vage Erinnerungen mit starken Empfindungen vermischt, die der NSU- Schock 2011 bei vielen Menschen hervorgerufen hat. Zeugen sind oft, das ist Allgemeingut bei Juristen, das schwächste Beweismittel. Und das belastet auch den NSU- Prozess. Die meisten Verbrechen der Neonazis geschahen im vergangenen Jahrzehnt, da ist im Gedächtnis manches Detail verblasst. Und dennoch: Das Mammutverfahren stockt nicht. Nach 40 Verhandlungstagen kann man eine optimistische Prognose wagen.

Trotz einer in jeder Hinsicht unglaublichen Dimension wird der NSU-Prozess nicht scheitern. Beate Zschäpe und die vier Mitangeklagten werden vermutlich ein Urteil bekommen, in dem Schuld oder Unschuld angemessen bewertet sind. Obwohl die Verhandlung in viele Stränge zersplittert ist und der Vorsitzende Richter Manfred Götzl derart rigide Regie führt, dass manche Nebenklage-Anwälte inzwischen zahm, wenn nicht eingeschüchtert wirken. Aber Götzl hat auf paradoxe Weise ein kleines Wunder vollbracht.

Der harte Kurs gegenüber Anwälten bewahrt die Institution der Nebenklage vor einer Debatte, ob Rechte und Kompetenzen beschnitten werden müssten. Obwohl mehr als 50 Anwälte von Hinterbliebenen der NSU-Verbrechen und von überlebenden Opfern im Saal sitzen, hat sich die oft gehörte Prophezeiung nicht bewahrheitet, dieser Prozess sei nicht führbar. Götzl führt den Prozess. Und er führt vor, dass auch eine hohe Zahl von Nebenklägern und Anwälten nicht zwangsläufig die Beweisaufnahme lahmlegt. Allerdings hätte Götzl das nicht erreicht, wenn er so weitergemacht hätte wie am Anfang.

Der Richter geht zunehmend sensibel mit Zeugen um, die unter dem NSU-Terror gelitten haben und noch immer leiden. Er fragt nach den Folgen eines Mordes für die Angehörigen des Opfers, er würgt auch vermeintlich kleine Geschichten nicht ab – wie zum Beispiel die eines traumatisierten Handwerkers, der durch den von Zschäpe gelegten Brand in Zwickau fast seine Existenz verlor. Und Götzl scheut sich nicht, einen Polizisten, der von einer vertrauensvollen Kommunikation mit der Familie eines Mordopfers spricht, mit Ermittlungsmethoden zu konfrontieren, die das Vertrauen in die Polizei ruiniert haben.

Götzl holt Vertrauen in die deutschen Behörden zurück. Andere Beamte verspielen es. Vor allem Polizisten haben im Prozess mit unsensiblen Äußerungen, zum Beispiel über unaufgeräumte Wohnräume eines türkischen Mordopfers, den Verdacht verstärkt, in manchen Behörden schwelten Ressentiments auf ewig. Aber so wie Götzl lernt, können auch die Polizei und die Bundesrepublik aus diesem Prozess viel lernen – vor allem über sich selbst.

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