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Piratenpartei: Und sie lebt, die Demokratie

Die Piraten erinnern daran, woher Parteien kommen und dass sich die digitale Revolution auf die politische Landschaft auswirkt. Das wichtigste Lehrmittel der Demokratie werden die übermütigen Freibeuter aber erst noch kennen lernen.

Es werden im Folgenden wenige Worte darüber verloren, was die Piraten alles nicht können. Dazu ist hier erstens zu wenig Platz, zweitens kann das schon morgen anders sein. Die schönste Überraschung des Wahlabends verdanken wir jedenfalls den Piraten. Denn sie erinnern uns daran, dass Parteien aus dem Volk kommen und Selbstorganisation ein Machtmittel von Menschen sein kann, die etwas wollen in der Gesellschaft und sich zu diesem Zweck mit anderen zusammentun.

Wer heute „Partei“ denkt, fühlt den ursprünglichen Impuls dieses „Parteiergreifens“ nicht mehr. Parteien werden wahrgenommen als Teil eines entfernten Überbaus, von Apparaten, die um Millimetervorteile taktieren und die Öffentlichkeit suchen, um sich zu inszenieren. Die mit PR-Maschinen Wahlkämpfe bestreiten, in denen es darauf ankommt, dass die politische Konkurrenz weniger Menschen für sich gewinnt als man selbst für die eigenen Ideen mobilisieren kann.

Dieses Bild wird vielen Politikern und auch „den Parteien“ nicht gerecht. Aber gerechtfertigt ist es schon, wie die Wochen vor der Berliner Wahl illustrieren. Regierungspolitik, die von Existenzfragen handelt, kommt im Fall des Euro daher wie ein hoch taktisches Gespräch einer eingeweihten Elite, das niemand, nicht einmal diese Elite selbst, verstehen kann. Die egoistischen Motive hingegen sind allzu durchsichtig.

So sind FDP und Piraten am Berliner Wahlabend zu Gegenbildern geworden. Die Netzaktivisten erzählen vom möglichen Entstehen einer Partei. Das 1,8 Prozent-Ergebnis für die Liberalen ist die Geschichte vom Vergehen einer Partei, die sich mit dem Steuerversprechen auf (im Wortsinn) schwindelnde Höhen begeben und danach alles verloren hat, weil sie eine Antwort auf die Fragen der globalisierten Finanzmärkte noch nicht einmal sucht. Ein politischer Liberalismus, der sich vor Kernfragen der Wirtschaft drückt, ist überflüssig.

Die Piraten werden unter dem Druck ihres Erfolgs reichlich nach Antworten suchen müssen. Und sie machen den Eindruck: mit Lust und Eifer. Ob und wie sie sich in und über Berlin hinaus entwickeln, ist völlig offen. Dass aber eine Revolution wie die digitale auf die politische Landschaft eine ähnlich einschneidende Wirkung haben kann wie sie einst die industrielle, die liberale, bürgerliche und die Arbeiterparteien hervorgebracht haben – dazu gehört nicht viel Fantasie.

Die Ziele der Piraten sind so verschwommen wie legitim. Ihr Schlüsselwort heißt Transparenz, und das ist schon deshalb attraktiv, weil in der Politik überall das Gegenteil wahrgenommen wird. Haben sie aus der Geschichte der Grünen gelernt, den Stier – die demokratischen Institutionen – bei den Hörnern zu packen? Die fünf Jahre alten Piraten haben sich gleich Partei genannt, ohne die Umwege über Alternative oder Anti-Parteien-Partei. Und anders als die Grünen, deren Aufstieg von Lichtgestalten wie Petra Kelly befördert wurde, sind die Piraten nahezu gesichtslos. Sie brauchen keinen Charismatiker, denn sie produzieren ihre medialen Effekte einfach selbst. Ihr Selbstbewusstsein kommt aus einem jugendlichen Avantgardismus, der die entscheidenden neuen Kommunikationstechnologien wie selbstverständlich nutzt, die viele von denen alt aussehen lassen, die auf den oberen Etagen das Sagen haben. Freibeuter sind gegen Belehrungen immun. Auf die übermütigen Piraten wartet jetzt das wirksamste Lehrmittel der Demokratie – die Erwartungen ihrer Wählerinnen und Wähler.

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