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Hurenelite gegen Frauen vom Strich? Die Politik wiegelt ab, wenn sich die Frauen selbst zu Wort melden.

© dpa

Prostitution: Solange „Hure“ ein Stigma bleibt, ist die Emanzipation nicht geschafft

Meldepflicht, Amtsarzt: Die Koalitionspläne zur Prostitution kommen fortschrittlich daher, aber sie führen geradewegs in die Vergangenheit. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Dafür, dass es angeblich das älteste Gewerbe der Welt ist, hat es erstaunlich schwache Spuren in der geschriebenen Geschichte hinterlassen. Wer sich über die Geschichte der Prostitution informieren will, wird nicht ohne Weiteres in der Handbuchabteilung fündig. Memoiren, der Blick auf einzelne Städte und Jahrhunderte, aber wenig Zusammenhängendes. Und das schon gar nicht auf Deutsch.

Wozu Bezahl-Sex in sexuell befreiten Zeiten?

Ein Symptom nur, aber es steht fürs Ganze: Sex gegen Geld, das ist im Wortsinn immer noch un-säglich, und weder die sexuelle Revolution noch die Bürgerrechts- oder die bei diesem Thema ohnehin ambivalente Frauenbewegung waren bisher in der Lage, eine ausreichend große Bresche ins Unaussprechliche zu schlagen. Womöglich ist Reden darüber sogar schwieriger geworden: Sind wir nicht sexuell längst befreit? Wer zahlt für etwas, das, anders als bis in die jüngste Vergangenheit noch, für jede und jeden zu haben ist, verheiratet oder nicht, hetero oder homo? Mitgemeint ist da natürlich immer: wer, wenn nicht Perverse, Frauenhasser, Leute, vorzugsweise Männer, denen es Spaß macht, sich einen fremden Körper gefügig zu machen? Selbst das alte Argument, auch die ehrbare Hausfrau verkaufe (ehelichen) Sex gegen Geld – Versorgung, Rente –, zieht nicht mehr wie einst. Die nicht erwerbstätige Ehefrau ist schließlich ein Auslaufmodell.

Zurück ins Kaiserreich

Auf dem Boden der eigenen Aufgeklärtheit allerdings ist der Weg zurück anscheinend leichter. Schweden hat vor 15 Jahren mit solchen Argumenten gekauften Sex verboten. Fortschrittliche Argumente, die einen alten konservativen Traum verwirklichen halfen. Frankreich ist gerade dabei, wenn auch vorerst im Gesetzgebungsverfahren gebremst. Und Deutschland, das vor mehr als einem Jahrzehnt eines der liberalsten Prostitutionsgesetze schuf, will auch zurück, wenigstens bis ins wilhelmische Kaiserreich. Das kannte bereits jene Registrierpflicht für Prostituierte, auf die sich die große Koalition im August einigte. Über die Einführung einer verpflichtenden Gesundheitsuntersuchung wird noch gestritten.

Auch dies keine neue Idee, der berüchtigte „Bockschein“ war eines der wesentlichen Angriffsziele der Hurenbewegung. Er stempelte Prostituierte zur Gesundheitsgefahr und wurde von ihnen schon deshalb als besonders demütigend empfunden, weil er für die Volksgesundheit offensichtlich ohne Sinn war. Infektionen konnten sich Sexarbeiterinnen schon kurz nach dem Besuch beim Arzt zuziehen. Und natürlich waren sie die Ersten, die darunter litten.

Ein konservatives Schlachtfeld wird zum feministischen

An Gesundheitstest ebenso wie an der Meldepflicht lässt sich aber gut studieren, wie alter Wein in neue Schläuche gerät. Die gefährliche Frau ist wenigstens in der Politik kein brauchbarer Topos mehr. Daher ist nicht mehr von der öffentlichen Gefahr die Rede, ob für die Gesundheit oder die Moral, sondern von der Gefahr, die „diese Frauen“ und ihr schmutziger Job sich selbst sind. Sie brauchen Schutz. Denn sie sind, so das inzwischen gefestigte Bild, alle oder fast alle Opfer von Menschenhandel. Der konservative Kampf gegen das Übel der Prostitution wird so scheinbar zu einem feministischen.

Das ist er aber nicht. Wie jede gute Emanzipationsbewegung hat auch die der Frauen immer weniger Wert auf Schutz von oben gelegt als darauf, dass die zu Schützenden für sich selbst sprechen. Und das tun sie, so kürzlich auf dem Sexarbeitskongress in Berlin, wo die Rede davon war, dass Sexarbeiterinnen vor allem an der Verachtung leiden, die den Beruf noch immer begleitet, dass Ausländerinnen, vor allem die ohne Papiere, ihn wählen, weil er die bessere oder auch nur die zugänglichere unter etlichen schlechten Möglichkeiten ist. Und dass sie deswegen mehr Rechte brauchen statt mehr Kontrollen. Und es fiel der unerhörte Satz von der Freiwilligkeit der Sexarbeit: „Die meisten Menschen arbeiten, weil sie müssen. Im Kapitalismus haben die wenigsten eine Wahl.“

Das Unbehagen der anständigen Frauen

Gehört werden die Frauen bisher wenig. Hier sei eine gebildete und gut bezahlte Hurenelite an den Mikrofonen, lautet das Argument, die für die wirklich Unterdrückten nicht sprechen könne. Das Abwiegeln mag auch mit der Besetzung auf politischer Seite zu tun haben. Fast alle Beteiligten in der großen Koalition sind Frauen. Das Unbehagen „anständiger“ Frauen beim Thema Prostitution ist vielleicht ebenso alt wie das Gewerbe und hat tiefe Frontlinien auch in der Frauenbewegung gezogen.

Es wäre allerdings Zeit, es endlich zu überwinden. Solange „Hure“ ein Stigma ist, ist die Befreiung der Frauen, aller Frauen, noch nicht geschafft.

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